Eliten und Untertanen.pdf - AStA Uni Hannover
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derts ihre Mitglieder exklusiv aus. Kriterium für die Aufnahme waren vor allem<br />
die geistige <strong>und</strong> menschliche „Reife“, da sich die studentischen Orden von der<br />
Studentenschaft abheben wollten.<br />
Bis heute spielt die „Exklusivität“ bei der Auswahl der Mitglieder studentischer<br />
Verbindungen eine Rolle, wobei die Kriterien variieren: wer Mitglied<br />
werden kann, hängt je nachdem, welcher Verbindung man beitreten will, von<br />
Konfession, Geschlecht <strong>und</strong>/oder Staatsangehörigkeit ab, teilweise spielen auch<br />
völkische, kulturelle <strong>und</strong>/oder materielle Aspekte eine Rolle oder aber persönliche<br />
Vorlieben <strong>und</strong> Begabungen, etwa sportliches oder musisch-künstlerisches<br />
Engagement. Die Palette ist vielfältig, so dass theoretisch mehr oder minder<br />
jede/r die Möglichkeit hat, als „exklusiv“ zu gelten, für manche sind die Chancen<br />
besser: ein fiktiver nach völkischen Kriterien definierter deutscher „weißer“,<br />
heterosexueller <strong>und</strong> einigermaßen wohlhabender Student christlichen Glaubens<br />
hätte die größte Auswahl. Er könnte in jeder der etwa 1.000 studentischen Korporationen<br />
mit Ausnahme der r<strong>und</strong> 20 Damenverbindungen um Aufnahme bitten,<br />
um eine institutionalisierte Fre<strong>und</strong>schaftsbeziehung einzugehen. Andere<br />
haben eingeschränktere Möglichkeiten.<br />
36<br />
Fre<strong>und</strong>schaft<br />
Das schon für die Mitglieder der studentischen Orden im Zentrum stehende<br />
Moment der Fre<strong>und</strong>schaft spielt bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt für zahlreiche<br />
Studentenverbindungen eine wichtige Rolle. So bezieht sich etwa der<br />
„Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen“ (CV) seit<br />
seiner Gründung 1856 neben den Prinzipien religio, scientia, patria auch auf das<br />
Prinzip amicitia. 3<br />
Soziologisch betrachtet ist die Betonung der Fre<strong>und</strong>schaft seitens der studentischen<br />
Orden im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert eine Folge umfassender gesellschaftlicher<br />
Transformationsprozesse, vor allem der zunehmenden gesellschaftlichen<br />
Differenzierung: Hierzu ist die berufliche Differenzierung genauso zu zählen,<br />
beispielsweise übernahmen immer weniger Männer automatisch den Beruf des<br />
Vaters, wie die Zunahme der geografischen <strong>und</strong> sozialen Mobilität oder die<br />
Ausdehnung des staatlichen Einflusses in Recht <strong>und</strong> Verwaltung . Neben den<br />
familiären <strong>und</strong> beruflichen Strukturen differenzierten sich auch die religiösen<br />
Vorstellungen <strong>und</strong> Gewohnheiten immer mehr, so dass insgesamt eine größere<br />
soziale Heterogenität entstand. Dadurch wurde einerseits die Freiheit des<br />
Einzelnen erweitert, anderseits nahmen Unsicherheiten <strong>und</strong> Desorganisation<br />
zu. Als Folge dieser gesellschaftlichen Entwicklung entstanden immer mehr<br />
Fre<strong>und</strong>schaftsbünde, die auf „institutioneller“ Ebene eine den persönlichen<br />
Fre<strong>und</strong>schaften ähnliche Funktion übernahmen, weshalb der Soziologe Friedrich<br />
H. Tenbruck die Zeit von 1750 bis 1850 als „große Epoche der Fre<strong>und</strong>schaft“<br />
4 bezeichnet hat. Diese Fre<strong>und</strong>schaftsbünde gewährten dem Einzelnen<br />
durch die Identifikation mit der Gruppe eine Vorstellung von sich selbst <strong>und</strong><br />
damit auch Sicherheiten im Verhalten. Für die meisten Frauen bedeuteten die