Eliten und Untertanen.pdf - AStA Uni Hannover
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„lessing raus! Jude raus!“<br />
Die Hetzkampagne hannoverscher Verbindungen gegen<br />
Theodor Lessing<br />
mIcHAel SoBoll<br />
Der ständige Verweis auf die eigene Geschichte zementiert das Selbstverständnis<br />
studentischer Verbindungen. Wenn diese Gemeinschaften alte<br />
Werte <strong>und</strong> Traditionen bewahren wollen, ist das ein Zeichen des Stolzes auf<br />
ihre Vergangenheit. Doch gerade die Geschichte der studentischen Verbindungen<br />
steht in einem düsteren Licht: Die heute von ihnen gerühmten Werte waren<br />
– <strong>und</strong> sind noch heute – aufgebaut auf einem <strong>und</strong>emokratischen <strong>und</strong> diskriminierenden<br />
Weltbild. Da hilft auch kein Verklären der Vergangenheit <strong>und</strong> kein<br />
Ausklammern unliebsamer Episoden.<br />
Um diesem entgegenzutreten <strong>und</strong> einen Einblick in die Geschichte<br />
der Verbindungsstudenten zu geben, soll hier ein Sprung in die<br />
erste Hälfte des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts gemacht werden: In den<br />
1920er Jahren ereignete sich der berüchtigte „Fall Lessing“, der<br />
eigentlich mehr ein „Fall Deutschland“ war <strong>und</strong> als ein Ausdruck<br />
von pathologischem Nationalwahn Furore machte. Die Verfolgung<br />
<strong>und</strong> Vertreibung, der Hass <strong>und</strong> Terror der Verbindungsstudenten<br />
gegen einen ihnen unbequemen Zeitgenossen zeigen nicht nur die<br />
Schattenseite dieser Gemeinschaften. Diese Ereignisse in einer radikalisierten<br />
Gesellschaft eröffnen eben auch einen Blick hinter die<br />
Maske der Verklärung von Geschichte. Sie legen somit trotz aller<br />
Zeitbedingtheit gr<strong>und</strong>sätzliche Vorstellungen <strong>und</strong> Weltbilder offen,<br />
die heute zwar angepasster daherkommen, in ihrem Kern aber doch<br />
erhalten geblieben sind. Der „Skandal“ um den Schriftsteller, Philosophen<br />
<strong>und</strong> Hochschullehrer Theodor Lessing spielte sich in erster<br />
Linie an der <strong>Uni</strong>versität <strong>Hannover</strong> ab, die damals noch Technische<br />
Hochschule hieß.<br />
Lessing im Kaiserreich<br />
Der deutsche Nationalismus hatte zur Jahrh<strong>und</strong>ertwende große Teile der Bevölkerung<br />
ergriffen. Er ertränkte jeden Realitätssinn in einem Nationalwahn<br />
<strong>und</strong> einer grenzenlosen Aufwertung des durch <strong>und</strong> durch militarisierten „Vaterlandes“.<br />
Doch während weite Teile der Gesellschaft wie in Trance dem Ersten<br />
Weltkrieg entgegenmarschierten, entwickelte sich eine Gegenbewegung. In<br />
dieser Avantgarde entstanden widerständige Denkweisen, die sich der Borniertheit<br />
deutscher Allmachtswünsche nicht hingaben. Hier spiegelten sich die alten<br />
Ideale der Aufklärung, Phantasien von Freiheit <strong>und</strong> Vernunft <strong>und</strong> der Wunsch<br />
Der Kulturphilosoph Theodor<br />
Lessing wurde 1872<br />
in <strong>Hannover</strong>-Anderten geboren.<br />
Unter dem Eindruck<br />
des Ersten Weltkrieges<br />
veröffentlichte er 1919 sein<br />
Hauptwerk „Geschichte als<br />
Sinngebung des Sinnlosen.“<br />
1925 verlor er auf Gr<strong>und</strong> einer<br />
Kritik an Reichspräsident<br />
Hindenburg seinen Lehrauftrag<br />
an der Technischen<br />
Hochschule <strong>Hannover</strong>. Im<br />
Exil in Marienbad wurde er<br />
1933 von nationalsozialistischen<br />
Agenten erschossen.<br />
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