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Arbeit auseinander, entwerfen Hypothesen, welche Aktivitäten und Übungen die<br />

Lernenden am ehesten motivieren und somit am besten den Lernprozess fördern könnten.<br />

Diese Art des Theoretisierens entspricht vielleicht nicht unbedingt der konventionellen<br />

Vorstellung von wissenschaftlich stringenter Theoriebildung und wird vielleicht auch<br />

nicht explizit ausformuliert. Was die Lehrenden betrifft, so kann es durchaus<br />

vorkommen, dass die Theorie, auf die sich ihr Unterricht gründet, so sehr auf gängige<br />

Methoden aufbaut, dass sich ihr Ansatz wie praktischer Hausverstand ausnimmt, wobei<br />

es dann oft wieder dazu führt, dass die Unterrichtspraxis als Gegenpol zur Theorie<br />

dargestellt wird. Tradiertes Wissen ist jedoch von Natur aus theoretisches Wissen: Was<br />

hier passierte, ist nichts anderes, als dass die Theorie akzeptiert und zur Konvention<br />

erklärt wurde. Nicht alle Theorien sind jedoch unbedingt auch außerhalb des Bereichs, für<br />

den sie ursprünglich entworfen wurden, gültig und relevant. Sie gelten unter bestimmten<br />

Voraussetzungen und unter bestimmten Bedingungen. Das heißt, dass Theorien immer<br />

kritisch hinterfragt, revidiert und unter Umständen auch abgelehnt werden müssen, wenn<br />

sich herausstellt, dass zur Übernahme der Theorie nicht die entsprechenden<br />

Voraussetzungen und Bedingungen vorhanden sind.<br />

Der Wert von Theorien liegt somit hauptsächlich darin, dass sie die kritische<br />

Auseinandersetzung anregen, dass wir überlegen, was wir machen und warum wir<br />

etwas machen. In diesem Sinne sind theoretische Gedanken Katalysatoren für das<br />

ständige Hinterfragen unserer pädagogischen Prinzipien und Praxis. Wichtig ist, dass<br />

eine Theorie weiteres Theoriebilden anregt und nicht weitere Fragestellungen abblockt.<br />

Egal ob wir eine bestimmte Theorie akzeptieren, abändern oder ablehnen, wesentlich<br />

ist, wie wir zu dieser Entscheidung gelangen.<br />

Je überzeugender eine Theorie demnach ist, desto kritischer müssen wir ihr begegnen.<br />

Ideen und Lehrmeinungen sind u.U. überzeugend, weil sie von einer (vermeintlich)<br />

höher gestellten Autorität stammen, oder weil sie sofortige Lösungen versprechen. Zur<br />

Illustration ein Beispiel aus einem Bereich, der nichts mit dem Sprachenlernen zu tun<br />

hat: Als Darwins Theorie von der Evolution durch natürliche Selektion im<br />

19. Jahrhundert langsam Bekanntheit erlangte, war die Aufregung groß, denn seine<br />

Ideen waren schwer mit der in der Religion propagierten Vorstellung von der<br />

Erschaffung des Menschen in Einklang zu bringen. Zur Überbrückung dieses<br />

Gegensatzes formulierte der New Yorker Pfarrer Henry Ward Beecher daraufhin eine<br />

theoretische Unterscheidung, die J. K. Galbraith folgendermaßen kommentierte:<br />

Sein Vorschlag fußte auf einer Unterscheidung zwischen Theologie und Religion.<br />

Theologie, wie das Tierreich, war dem Prozess der Evolution unterworfen. Solche<br />

Änderungen widersprachen nicht der Heiligen Schrift. Die Religion war dauerhaft. Ihre<br />

Wahrheiten änderten sich nicht. Darwin und Spencer gehörten zum Bereich der<br />

Theologie, die Bibel zur Religion. Folglich gab es keinen Widerspruch zwischen<br />

natürlicher Selektion und der Heiligen Schrift. Ich verstehe diese Unterscheidung nicht,<br />

und es ist als sicher anzunehmen, dass weder Beecher noch seine Kirchengemeinde diese<br />

Unterscheidung verstanden. Aber sie klang ausgesprochen überzeugend.<br />

26<br />

(Galbraith 1977:57; unsere Übersetzung)

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