RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE
RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE
RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
24 Kindheit und Jugend<br />
Und auch hinter dem, was Steiner in der Realschule lernt,<br />
bleibt als Leitmotiv das Ziel lebendig, in die höheren Welten<br />
übersinnlicher Art einzudringen. So resümiert er: «Hinter dem,<br />
was ich durch den Schuldirektor, den Mathematik- und Physiklehrer<br />
und den des geometrischen Zeichnens in mich aufnahm,<br />
stiegen nun in knabenhafter Auffassung die Rätselfragen des<br />
Naturgeschehens in mir auf. Ich empfand: ich müsse an die Natur<br />
heran, um eine Stellung zu der Geisteswelt zu gewinnen, die<br />
in selbstverständlicher Anschauung vor mir stand» (636,29).<br />
1875: Kant-Lektüre<br />
Einen wesentlichen Schritt auf die geistige Welt zu bedeutet für<br />
Steiner das Eindringen in das Reich der Philosophie, das für<br />
den Vierzehnjährigen mit der Lektüre von Immanuel Kants<br />
«Kritik der reinen Vernunft» beginnt. Betrachtet man Steiners<br />
späteres Lehrsystem und die Äußerungen über die frühe Kant-<br />
Lektüre in seinem «Lebensgang», so wird deutlich, daß er Kant<br />
in Anknüpfung und Widerspruch zugleich rezipiert. Die Anknüpfung<br />
liegt in der anthropozentrischen Ausrichtung von<br />
Kants Erkenntnistheorie, der Widerspruch tut sich auf, wo Kant<br />
von den Grenzen der Erkenntnis spricht.<br />
Die revolutionäre Ansicht, die Kants Erkenntnistheorie kennzeichnet,<br />
lautet: Unsere Erkenntnis richtet sich nicht nach den<br />
Gegenständen, sondern die Gegenstände richten sich nach unserer<br />
Erkenntnis. Der Mensch ist der Gesetzgeber der Natur.<br />
Unser Verstand verknüpft die uns begegnenden Erscheinungen<br />
nach den in ihm liegenden Normen oder Kategorien und schafft<br />
damit die gesetzmäßige Ordnung der Natur. Dieser Anthropozentrismus<br />
in der Erkenntnistheorie steht in formaler Parallele<br />
zum Heliozentrismus im kopernikanischen Weltbild: Die Erde<br />
dreht sich um die Sonne, nicht die Sonne um die Erde. Es gibt<br />
für Kant allerdings Grenzen der Erkenntnis, etwa im Blick auf<br />
das Dasein eines höchsten Wesens und der jenseitigen Welt.<br />
So betont Kant: «Denn alle synthetischen Grundsätze des