RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE
RUDOLF STEINER UND DIE ANTHROPOSOPHIE
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Wiener Jahre 3^7<br />
zusammenhängt: «Es ist das Menschenbild der griechischen<br />
Antike, in dem die höchste Stufe der sich steigernden Natur<br />
verewigt ist: der Mensch, der auf sich selbst vertraut und tätig<br />
in die Gegenwart wirkt. Gott ist sozusagen in jedem Menschen<br />
Mensch geworden, um den Menschen durch seine tätige<br />
Selbstverwirklichung und Gottes liebendes Mitwirken zu Gott<br />
zu erheben» (Lackmann 1984,52).<br />
Lackmann zitiert eine Fülle von Belegen aus der Diskussion<br />
Goethes mit dem evangelischen Pfarrer Johann Caspar Lavater,<br />
die seine Ablehnung, ja Feindschaft gegenüber dem traditionellen<br />
Christentum deutlich machen. Der persönliche Gott<br />
sei eine «Kindergehirn-Erfindung», der Glaube an die Gottessohnschaft<br />
Jesu Christi einschließlich Opfertod und Auferstehung<br />
sei «das Märchen von Christus». Anstelle der kirchlichen<br />
Dogmen hatte sich Goethe seine eigene Religion, eine Art humanistisches<br />
Christentum gezimmert: «Christus blieb für seine<br />
'Religion der Humanität' eine geistige Kraft, ein Bild, in<br />
dem jeder sein besseres Ich wiedererkennen kann» (a.a.O.,<br />
52ff.).<br />
In dieses Denken nun wächst der junge Rudolf Steiner mehr<br />
und mehr hinein. Die Möglichkeit, mit einem biblisch fundierten<br />
Christentum bekannt zu werden, ergibt sich ihm durch die<br />
Goethe-Studien nicht. Vielmehr verstärkt sich sein Widerstand<br />
gegen ein «dogmatisches Christsein» nur noch mehr und macht<br />
dem Glauben an das göttlich-geistige Wesen der Natur und des<br />
Menschen Platz. So wird er im November 1890 an seinen<br />
Freund Friedrich Eckstein schreiben: «Mir ist klar, daß Goethe<br />
mit seinem 'Teilhaftigsein am Weltprozesse' unmittelbar die<br />
Selbstauflösung des Individuums und dessen Wiederfinden im<br />
Weltall meinte, die Vergottung des Menschen» (39,52).<br />
Wie aber sind solche Vorstellungen aus christlicher Sicht zu<br />
beurteilen? Nach biblischer Aussage gibt es keine Identität zwischen<br />
Gott, Welt und Mensch, sondern der personale Gott schuf<br />
die Welt durch sein Wort (Hebr. 11,3; vgl. l.Mo. 1,1; Joh. l,lff.;<br />
Rom. 4,17). Die Schöpfung ist kein Teil Gottes oder gar Gott<br />
selber, sondern Gott steht seiner Schöpfung souverän gegenüber:<br />
«Unser Gott ist im Himmel; er kann schaffen, was er will»