EKD-Text 106 - Evangelische Kirche in Deutschland
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auf das sozialökonomische Optimum als Störfaktor angesehen. In der anderen hat<br />
das Pr<strong>in</strong>zip der „Versorgung“ den Vorrang und die Besteuerung kann Ausmaße e<strong>in</strong>nehmen,<br />
die E<strong>in</strong>zelne – wie <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten <strong>in</strong> den sozialistischen<br />
Staaten Europas – als Bevormundung und E<strong>in</strong>schränkung ihrer Freiheit empf<strong>in</strong>den.<br />
2.3. Sozialer Rechtsstaat und Soziale Marktwirtschaft<br />
(23) Tatsächlich haben sich die meisten westlichen Staaten nach dem zweiten<br />
Weltkrieg als Mischformen sozialer und liberaler Traditionen entwickelt – mit<br />
gewissen Akzentuierungen <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en oder anderen Richtung. Die Erfahrungen<br />
mit den Ansprüchen und Anmaßungen e<strong>in</strong>es totalitären „Wohlfahrtsstaats“ haben<br />
dazu geführt, dass e<strong>in</strong> kritisches und liberales Demokratieverständnis, das den Staat<br />
eher funktional begreift, sich <strong>in</strong> der <strong>Kirche</strong> durchsetzen konnte. Denn die Wahrnehmung<br />
von Engagement und Verantwortung e<strong>in</strong>es jeden e<strong>in</strong>zelnen Bürgers ist<br />
nur möglich aus Freiheit heraus. Insofern der Staat, auch der versorgende Staat,<br />
unweigerlich auch mit Zwang zu tun hat, ist es zweifellos geboten, se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss<br />
<strong>in</strong> Grenzen zu halten. In dieser H<strong>in</strong>sicht stimmt die christliche Ethik mit liberalen<br />
Postulaten übere<strong>in</strong>.<br />
Auf der anderen Seite ist aber deutlich, dass das liberale Freiheitsversprechen faktisch<br />
nur von e<strong>in</strong>em relativ kle<strong>in</strong>en Teil der Gesellschaft realisiert werden kann.<br />
Tatsächlich brauchen fast alle Menschen, die abhängig beschäftigt oder auf die<br />
Fürsorge anderer angewiesen s<strong>in</strong>d, den regulierenden E<strong>in</strong>fluss des Staates, um ihre<br />
Freiheit zu verwirklichen. Insofern ist der Staat, gerade <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Form als sozialer<br />
Rechtsstaat, Garant der Freiheit der Bürger und Gestaltungsraum ihrer gesellschaftlichen<br />
Verantwortung.<br />
(24) Es gehört zur Würde des Menschen, dass er möglichst selbständig für se<strong>in</strong>e<br />
Existenz und se<strong>in</strong>e Entwicklung sorgen kann. Jede Besteuerung muss darauf Rücksicht<br />
nehmen und dem E<strong>in</strong>zelnen m<strong>in</strong>destens das sozioökonomische Existenzm<strong>in</strong>imum<br />
lassen, das e<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> Würde ermöglicht. Wo e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelner nicht ausreichend für<br />
sich sorgen kann, ist er vorrangig an die Familie und se<strong>in</strong> engeres soziales Umfeld<br />
verwiesen, damit er dort Unterstützung und Förderung bei der eigenverantwortlichen<br />
Wahrnehmung se<strong>in</strong>es Alltags erfährt. Weil allerd<strong>in</strong>gs die Absicherung gegen<br />
viele Lebensrisiken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er mobilen und arbeitsteiligen Gesellschaft die E<strong>in</strong>zelnen<br />
und ihre Familie überfordert, muss der Staat dafür sorgen, dass die Schwächeren<br />
durch f<strong>in</strong>anziell Stärkere getragen und e<strong>in</strong> Ausgleich zwischen den Generationen<br />
geschaffen wird. Lebensrisiken, die jeden treffen können, wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit<br />
im Alter, werden dabei <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> über die sozialen Sicherungssysteme<br />
abgedeckt, die nicht unmittelbar durch Steuern, sondern durch Abgaben<br />
von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und teilweise auch von Selbständigen erwirtschaftet<br />
werden. Die Leistungen, die mit diesen Erträgen f<strong>in</strong>anziert werden, werden<br />
folglich auch unterhalb der Ebene staatlichen Handelns durch plurale Angebote<br />
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