EKD-Text 106 - Evangelische Kirche in Deutschland
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3. Die Gerechtigkeitsfrage bei der Besteuerung<br />
3.1. Rationale Steuersysteme<br />
(31) Es ist nicht zuletzt die nie endende Diskussion über Transparenz bei der<br />
Besteuerung – man denke nur an die „Flatrate“ oder die „Bierdeckel-Steuererklärung“–;<br />
die immer wieder zu Überlegungen geführt hat, wie e<strong>in</strong> transparentes<br />
und effizientes Steuer- und Abgabensystem rational zu gestalten sei. Unter e<strong>in</strong>em<br />
rationalen Steuersystem versteht man den Pr<strong>in</strong>zipentwurf für e<strong>in</strong> System, welches<br />
die wirtschafts-, sozial- und f<strong>in</strong>anzpolitischen Zielsetzungen unter Beachtung ihrer<br />
Rangordnung und wechselseitigen Vere<strong>in</strong>barkeit def<strong>in</strong>iert, den zielgerichteten Mittele<strong>in</strong>satz<br />
festlegt, aber auch unerwünschte Nebenwirkungen (Ineffizienz) klar benennt<br />
und Möglichkeiten ihrer Begrenzung aufzeigt. Als f<strong>in</strong>anzpolitische Zielsetzungen<br />
können z.B. die schonende Mittelbeschaffung, die Umschichtung von E<strong>in</strong>kommen<br />
und Vermögen, die Bee<strong>in</strong>flussung von Unternehmensformen und des Wettbewerbs<br />
auf bestimmten Märkten oder die Bee<strong>in</strong>flussung der Gesamtnachfrage genannt<br />
werden. Richard A. Musgrave sprach <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von Allokation,<br />
Distribution und Stabilisierung. Während man freilich <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten<br />
lange Zeit eher nur auf e<strong>in</strong>e Steuererhebung, die die privaten Entscheidungen möglichst<br />
wenig verzerrt (Allokationsfunktion) sowie auf e<strong>in</strong>e faire und auf sozialstaatliche<br />
Verteilungsgerechtigkeit gerichtete Steuererhebung (Distributionsfunktion)<br />
geachtet hat, spielt spätestens seit der F<strong>in</strong>anzkrise auch die Diskussion um die<br />
Stabilisierung der Konjunktur durch e<strong>in</strong>e adäquate Steuerpolitik wieder e<strong>in</strong>e große<br />
Rolle.<br />
(32) Die zahlreichen Ansätze für e<strong>in</strong>e grundlegende Umgestaltung der Besteuerung<br />
nach den Kriterien der Logik und der <strong>in</strong>neren Stimmigkeit, s<strong>in</strong>d praktisch nie<br />
verwirklicht oder von der Politik auch nur ernsthaft <strong>in</strong> Betracht gezogen worden.<br />
Vielfach halten sie schon e<strong>in</strong>er Kritik, die ihre vere<strong>in</strong>fachten Prämissen aufzeigt,<br />
nicht stand. H<strong>in</strong>zu kommt, dass die Bevölkerung sich an Struktur und Gestaltung<br />
der Steuererhebung im eigenen Land – das „tax design“ – gewöhnt und auf Reformen,<br />
deren Effektivität unklar ist, mit Skepsis reagiert. Letztlich scheitern solche<br />
Modelle aber immer an den kontroversen Diskussionen über die zu erwartenden<br />
Effekte der angeblich schlüssigen Modellvorschläge auf bestimmte Zielgruppen im<br />
praktischen Vollzug. Betroffene erwarten Vertrauensschutz, mögliche Verluste werden<br />
höher gewichtet als Gew<strong>in</strong>ne, und der allgeme<strong>in</strong>e Informationsstand zu den<br />
Wirkungen der Besteuerung ist ger<strong>in</strong>g. All das erschwert letztlich auch die politische<br />
Willensbildung. „Alte Steuern s<strong>in</strong>d gute Steuern“ heißt deshalb e<strong>in</strong> Merksatz<br />
unter F<strong>in</strong>anzwissenschaftlern.<br />
(33) Die Zweifel und Unsicherheiten der staatlichen Instanzen richten sich naturgemäß<br />
primär auf die Steuerergiebigkeit; doch auch die tatsächlichen Belastungswirkungen<br />
(Inzidenz) auf die verschiedenen Gruppen von Steuerzahlern, Verbrau-<br />
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