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Repetitorium Bundesstaatsrecht - Studentenverbindung Concordia ...

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3. Grundrechtsverständnis im Wandel<br />

Seite 2 von 50<br />

Erschöpfte sich die Funktion früher weitgehend darin, Eingriffe des Staates abzuwehren, so werden<br />

Grundrechte heute zugleich als objektive Grundsatznormen verstanden, welche die ganze Rechtsordnung<br />

durchwirken sollen.<br />

Primär liegt die Aufgabe der Freiheitsrechte in der Abwehrfunktion. Die neuere Lehre geht davon aus, dass<br />

den Freiheitsrechten über die Abwehrfunktion hinaus auch die Funktion von objektiven Grundsatznormen<br />

zukomme, auf die die gesamte staatliche Tätigkeit ausgerichtet 1 sein müsse, sog. konstitutiv-institutionelles<br />

Grundrechtsverständnis. Konsequenzen:<br />

Der Staat wird nicht nur zu einem Dulden oder Unterlassen, sondern auch zu einem positiven Tun verpflichtet. Er soll<br />

bspw. durch gesetzgeberische und ggf. finanzpolitische Vorkehrungen dafür sorgen, dass die persönliche Freiheit besser<br />

geschützt wird (Massnahmen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit sowie der Persönlichkeitsrechte), dass die<br />

Pressevielfalt gewahrt wird (Presseförderung), dass das „kleine“ Eigentum gefördert wird (damit möglichst viele in den<br />

Genuss der Eigentumsgarantie kommen).<br />

Direkte oder indirekte Drittwirkung<br />

Eine Ableitung von Drittpflichten und Staatsleistungen darf aber nicht dazu führen, dass die demokratischen<br />

Prozesse (Gesetzgebungsverfahren, Bewilligungsverfahren für finanzielle Mittel) überspielt werden.<br />

Müller unterscheidet deshalb das einzelne Grundrecht in 3 Phasen:<br />

Direkt-anspruchsbegründender Gehalt<br />

Nur hier kann im Rahmen der Rechtsanwendung aus einem Freiheitsrecht ein selbständiger Anspruch abgeleitet werden<br />

Programmatische Schicht<br />

Hier ist der Gesetzgeber angesprochen (Grundrechte als Gesetzgebungsaufträge)<br />

Flankierende Funktion<br />

Bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe 2 werden die den Freiheitsrechten zugrunde liegenden Wertentscheidungen<br />

herangezogen.<br />

Grundrechte begründen insbesondere eine staatliche Schutzpflicht gegen Störungen, die von Dritten<br />

verursacht werden, BGE 126 II 300.<br />

4. Adressaten der Grundrechte<br />

Adressaten der Grundrechte sind sämtliche Staatsorgane auf allen Ebenen der staatlichen Tätigkeit. Die<br />

Grundrechte sind vom Gesetzgeber, von der Regierung und von der Verwaltungsbehörde bei der<br />

Anwendung der Gesetze, bei der Beurteilung verwaltungsinterner Rekurse, bei der Vorbereitung von<br />

Gesetzen und beim Erlass von Verordnungen zu beachten. Ebenso sind unter Vorbehalt von BV 191 alle<br />

Gerichte daran gebunden.<br />

Alle verfassungsrechtlichen Einbindungen, v.a. Grundrechte und Legalitätsprinzip, kommen ungeachtet der<br />

verwendeten Rechtsform, wohl aber allenfalls differenziert nach Art und Struktur des Verwaltungshandelns,<br />

zum Tragen; unabhängig somit, ob der Staat hoheitlich handelt oder eine öffentliche Anstalt sich des<br />

Privatrechts bedient. In neueren Urteilen sind sogar Organisationen an die Grundrechte gebunden, denen<br />

der Staat die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben übertragen hat, die jene mittels des Privatrechts<br />

wahrnehmen sollen, BGE 109 Ib 146; BV 35 II.<br />

Eine direkte Drittwirkung (unmittelbare Bindung der Grundrechte auf den Privatrechtsverkehr) wird<br />

abgelehnt, BGE 80 II 26; Fall Seelig.<br />

Eine indirekte Drittwirkung (Orientierung an den Grundrechten bei der Auslegung unbestimmter<br />

Rechtsbegriffe) wird hingegen bejaht, BGE 86 II 365; Fall Vertglas.<br />

Die neue BV statuiert in Art. 35 III die Bindung der Grundrechte auch für Private, sofern und soweit sie sich<br />

dazu eignen [indirekte Drittwirkung]. Hingegen statuiert BV 8 III Satz 3 eine direkte Drittwirkung.<br />

1 „(…) die bis in die feinsten Verästelungen der Rechtsordnung ausstrahlen (…)“, Saladin, Grundrechte im Wandel, S. 295.<br />

2 Bspw. BGE 113 V 22: Ein Paraplegiker war umgezogen und war nun auf das Auto angewiesen, um zur Arbeit zu gelangen. Die<br />

Versicherung machte geltend, die Verlängerung des Arbeitsweges sei nicht invaliditätsbedingt. Das Bundesgericht zog die<br />

Niederlassungsfreiheit und die Wirtschaftsfreiheit als Auslegungshilfe zum Invalidengesetz bei und bejahte den Anspruch.<br />

<strong>Repetitorium</strong> © by Sandro Rossi

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