2012 - Forschung & Lehre
2012 - Forschung & Lehre
2012 - Forschung & Lehre
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
708 WISSENSCHAFT UND WEIN <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> 9|12<br />
Inspiration und Alkohol<br />
Thomas Mann hielt nichts von der Inspiration<br />
durch alkoholische Getränke.<br />
„Daß mehrere große Dichter Potatoren<br />
gewesen sind, beweist mir nichts. Denn<br />
wie beinahe alles Große, was dasteht,<br />
als ein Trotzdem dasteht, das trotz<br />
Kummer und Qual, Armut, Verlassenheit,<br />
Körperschwäche, Laster, Leidenschaft<br />
und tausend Hemmnissen zustande<br />
gekommen ist, so glaube ich, daß<br />
auch jene Poeten ihre Leistungen nicht<br />
mit dem Alkohol, sondern trotz ihm<br />
vollbracht haben.“ Natürlich gibt es<br />
richtige Alkoholiker unter den deutschen<br />
Dichtern, Joseph Roth zum Beispiel<br />
oder Hans Fallada oder Jean Paul,<br />
und beherrschte Trinkkünstler wie Goethe<br />
oder E.T.A. Hoffmann oder Gottfried<br />
Benn, die den Wein der literarischen<br />
Produktion dienstbar zu machen<br />
wußten. Thomas Mann aber war auf<br />
»Champagner steht für<br />
lockere Sitten.«<br />
Nüchternheit bedacht. Er hatte Angst<br />
vor der Betrunkenheit, vor dem Ausder-Rolle-fallen<br />
und dem Kontrollverlust.<br />
Unterschiedliche Stimmungen<br />
Wein oder Bier, Rotwein oder Weißwein,<br />
Burgunder oder Champagner,<br />
Bowle oder Portwein, Mosel, Riesling<br />
oder Kognak und Likör bewirken ganz<br />
unterschiedliche Stimmungen. Thomas<br />
Mann setzt sie literarisch gezielt ein.<br />
Branntwein ist proletarisch (Buddenbrooks).<br />
Moselwein trinkt ein Dumm-<br />
kopf (Doktor Faustus). Rheinwein gibt<br />
es in gutbürgerlichen Kreisen (Buddenbrooks).<br />
Weißwein regt an. Bei vier Flaschen<br />
Chateau Lafitte diskutieren der<br />
Hochstapler Felix Krull und Marquis<br />
Louis de Venosta ihren Rollentausch<br />
(Felix Krull). Champagnerbowle verwischt<br />
die gesellschaftlichen Unterschiede<br />
(Königliche Hoheit). Eine<br />
Weinmischung führt im Zauberberg zur<br />
Liebesnacht. Portwein gibt es in Buddenbrooks<br />
schon zum Frühstück; er galt<br />
als eine Art Medizin<br />
für blutarme Norddeutsche.Champagner<br />
ist auch literarisch<br />
etwas Besonderes.<br />
Er steht für gelockerte<br />
Sitten, eine gewisse<br />
Schwindelhaftigkeit und Liederlichkeit.<br />
Der lebenslustige Engelbert<br />
Krull ist Besitzer einer fallierenden<br />
Champagnerfirma im Rheingau<br />
(Felix Krull). Goethes Sohn August,<br />
der sich nie vom Vater freimachen<br />
konnte, soll schon als Elfjähriger<br />
siebzehn Gläser Champagner<br />
getrunken haben (Lotte in<br />
Weimar). Miss Eleanor Twentyman, ein<br />
junges reiches Mädchen, verliebt sich<br />
hoffnungslos in den Kellner Felix Krull.<br />
Es zeigt sich, „daß ein paar Gläser Moët-Chandon<br />
ihr den Rest gegeben hatten“<br />
– ohne den Champagner wäre es<br />
nicht so weit gekommen, daß sie ihm<br />
stammelnd eröffnet, sie wolle mit ihm<br />
fliehen, ihm ein Kind schenken, „und<br />
Daddy wird sich dareinfinden, wenn<br />
wir uns ihm mit dem Kinde zu Füßen<br />
werfen, und wird uns sein Geld geben,<br />
daß wir reich und glücklich sind…“<br />
Ehemalige Juniorprofessorinnen und<br />
Juniorprofessoren gesucht<br />
F ür ein von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes <strong>Forschung</strong>sprojekt werden<br />
ehemalige Juniorprofessoren und Juniorprofessorinnen gesucht,<br />
die Auskunft über ihren weiteren Berufsweg geben. Die Befragung wird per<br />
anonymisierten Online-Fragebogen durchgeführt. Ziel ist, fundierte Erkenntnisse<br />
über den Verbleib von Juniprofessorinnen und -professoren zu erfahren.<br />
Auf Basis der Studie sollen Empfehlungen für die Weiterentwicklung<br />
dieses noch sehr jungen Karrierepfads gewonnen werden. Das <strong>Forschung</strong>sprojekt<br />
wird durchgeführt vom Hochschulforschungsinstitut (HoF) Wittenberg<br />
und dem Gemeinnützigen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE).<br />
Nähere Informationen finden Sie unter: www.che.de<br />
Teilnehmer der Befragung werden im weiteren Projektverlauf über die Ergebnisse<br />
informiert. Bitte melden Sie sich bis zum 31. Oktober <strong>2012</strong> unter<br />
der E-Mail-Adresse: juniorprofessur@che.de oder telefonisch bei Projektmitarbeiterin<br />
Sindy Duong, Tel. 05241/976146.<br />
Abendmahl im Zauberberg<br />
Mijnheer Peeperkorn hält ein Gelage<br />
und imitiert das letzte Abendmahl. Auf<br />
den Gründonnerstag folgt als Karfreitag<br />
sein Freitod, ein Opfertod in mancher<br />
Hinsicht. Wie in der Eucharistie gibt es<br />
eine mystische und eine soziale Dimension<br />
des Weines – eine vertikale und eine<br />
horizontale. Das Gelage mündet in<br />
eine burleske Szene, in der das antike<br />
Bacchanal sich mit dem christlichen<br />
Abendmahl vermischt. Die gesellschaft-<br />
»Daß mehrere große Dichter<br />
Potatoren gewesen sind, beweist<br />
mir nichts.«<br />
lichen Schranken fallen, die Sprache<br />
geht verloren, der Urzustand nähert<br />
sich erschreckend und beseligend. Peeperkorn<br />
bestellt „Champagner, drei Flaschen<br />
Mumm & Co., Cordon rouge, très<br />
sec“ für seine Gäste. „Herr Albin löste<br />
mit lässiger Routine den ersten Pfropfen<br />
aus seiner Haft von Draht, ließ den pilzförmigen<br />
Kork mit dem Knall einer Kinderpistole<br />
dem geschmückten Hals entschlüpfen<br />
und zur Decke fahren […]<br />
Die Gesellschaft überließ sich einem seligen<br />
Nichtstun, indem sie ein zusammenhangloses<br />
Geschwätz tauschte, dessen<br />
Elemente bei jedem einzelnen aus<br />
erhöhtem Gefühle stammten und in irgendeinem<br />
Urzustande das Schönste<br />
versprochen hatten, aus denen aber auf<br />
dem Wege zur Mitteilung ein fragmentarisch-lippenlahmer,<br />
teils indiskreter,<br />
teils unverständlicher Gallimathias<br />
wurde, geeignet, die zornige Scham jedes<br />
nüchtern Hinzukommenden zu erregen,<br />
doch von den Beteiligten ohne<br />
Beschwer ertragen, da alle sich in dem<br />
gleichen verantwortungslosen Zustand<br />
wiegten.“ Das geht über Stunden und<br />
zahlreiche Flaschen weiter, es gibt später<br />
noch „saure Fischfilets und Bier dazu,<br />
endlich Tee, und zwar sowohl chinesischen<br />
wie Kamillentee für solche, die<br />
es nicht vorzogen, beim Sekt oder Likör<br />
zu bleiben oder zu einem ernsthaften<br />
Wein zurückzukehren, wie Mynheer<br />
selbst, der sich nach Mitternacht zusammen<br />
mit Frau Chauchat und Hans<br />
Castorp zu einem Schweizer Roten von<br />
naiv-spritziger Art durchgeläutert hatte,<br />
von dem er mit wirklichem Durst einen<br />
Glasbecher nach dem anderen hinunterschüttete.“