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2012 - Forschung & Lehre

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9|12 <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> WISSENSCHAFT UND WEIN 713<br />

Wie Wörter eine weinsprachliche<br />

Sonderbedeutung erhalten, zeigt mannbar,<br />

ein Weinwort ebenfalls des 19.<br />

Jahrhunderts. Es bedeutete damals ,reif‘<br />

und ,trinkfertig‘. Im Mittelalter hieß<br />

manbære, auf junge Frauen bezogen,<br />

,reif‘ und ,heiratsfähig‘. Dann wurde es<br />

auch von jungen Männern gesagt, die<br />

Extension also erweitert, weshalb die<br />

Bedeutung mit ,erwachsen‘ zu umschreiben<br />

war. Als Weinwort blieb ihm<br />

nur ein Teil der Bedeutung erhalten.<br />

Denn ,heiratsfähig‘ würde beim Wein ja<br />

,zum Verschnitt geeignet‘ bedeuten.<br />

Anders als die Fachleute, die die<br />

Weinsprache als durch Gebrauch festgelegtes<br />

Kommunikationsmittel benutzen,<br />

versuchen Schriftsteller und Journalisten,<br />

mit bildkräftigen Wendungen eine Vorstellung<br />

von schwer fassbaren Geschmacksnuancen<br />

zu vermitteln. Dabei<br />

dürfe man, hat der weinkundige Dichter<br />

Stefan Andres gesagt, „einfach alles“,<br />

doch eines nicht: „Worte aus dem festgelegten<br />

Vokabular falsch benutzen“. Doch<br />

gerade das geschieht sehr oft, weil die<br />

Bedeutungen in der Gemeinsprache vage<br />

und leicht veränderbar sind.<br />

Stile der Weinbeschreibung<br />

Die Unterschiede zeigen sich besonders<br />

deutlich, wenn man Stile der Weinbeschreibung<br />

beobachtet. Der Fachstil<br />

dient der Protokollierung des Probeneindrucks<br />

und verzichtet daher auf alles<br />

Überflüssige. In der Minimalform besteht<br />

er nur aus einem einzigen Wort<br />

wie ausdrucksvoll oder kantig. Daneben<br />

gibt es notizenartige Bewertungen<br />

wie langer Nachhall. Mehr wirkt schon<br />

fast geschwätzig.<br />

In der Praxis werden die Urteile umso<br />

knapper, je mehr die Fachleute unter<br />

sich sind. Auf Preislisten für Endverbraucher<br />

tritt der Werbeaspekt mit<br />

ausführlicheren Beschreibungen hervor.<br />

Dann heißt es beispielsweise rassig,<br />

herb, fruchtige Säure, Schieferton oder<br />

noch ausführlicher hochedel, mit feiner<br />

Frucht und Blume, reife Säure, Beerenton,<br />

auf dem Höhepunkt der Entwicklung,<br />

Zukunft.<br />

Den größten Gegensatz zum Fachstil<br />

bietet ein Stil, der sich an feinsinnige<br />

und gebildete Weintrinker wendet, die<br />

den uneigentlichen Ausdruck zu schätzen<br />

wissen und in ihm ein Mittel zur Erweiterung<br />

der Erfahrung sehen. Charakteristische<br />

Beispiele für diesen poetischen<br />

Stil verdanken wir einem württembergischen<br />

Wein-Grafen. Eine Traminer<br />

Spätlese stellte er seinen Kunden<br />

mit folgenden, durch Rhythmus, Allite-<br />

Do schtellte mä der Kellner de Bulle hänne. Ich frogt’n, ob hä die Sorte<br />

kennen dhät.<br />

„Jo, die äs gut, die schmecket ,fleischig‘.“<br />

„Wie schmecketse, fleischig? Do äs woll Gehacktes drinne?“<br />

„Det is’n Weincharakteristikum“, bemerkete do so’n Berliner Reisender, der<br />

sich newen mich gesetzt hadde und mich angock, als wanne sahn wollde:<br />

Du hast nadierlich keine Ahnunge nit vom Winn.<br />

Ich nahm die Hänne us der Hosenkippe und schbrach: „Ich danke au vor de<br />

Belehrunge. Giwwets dann noch mehr so Charakteristikimmer?“<br />

Do gab hä mä’ne Winn-Breisliste, wo mehr wie hunnert Sorten drof schtannen.<br />

Hinner jeder Sorte schtand was anneres bemerket: „leicht“, „hübsch“,<br />

„elegant“, „zart“, „viel Bouquet“, „mild“, „saftig“, „geschmeidig“, „viel Saft“,<br />

„süß“, „fruchtig“, „krautig“, „kernig“, „edel“, „herb“, „sec“ usw. usw.<br />

Henner Piffendeckel (d.i. Philipp Scheidemann): Im Rotskeller (1910)<br />

ration und Assonanz geadelten Worten<br />

vor: Feinfleischig flitzende Forelle, nackelig<br />

schnalzend im Bach. Die Information<br />

tendiert hier gegen Null, die<br />

sprachliche Veredelung des Weins überwiegt.<br />

Wie der Fachstil zielt auch der Kritikerstil<br />

auf Präzision der Beschreibung,<br />

möchte aber zugleich aus der Weindegustation<br />

eine Wissenschaft machen<br />

und die Beschreibung nobilitieren. Man<br />

findet ihn in der populären Weinliteratur,<br />

die sich bei der Weincharakterisierung<br />

an Menübeschreibungen orientiert.<br />

Eine Moselspätlese wird so charakterisiert:<br />

Tänzerische Vitalität, unglaubliche<br />

Fruchtdichte, dramatische<br />

Abbildung des Moselschiefers.<br />

»Der Fachstil verzichtet<br />

auf alles Überflüssige.«<br />

Hier geht es weniger um eine angemessene<br />

Charakterisierung als um eine<br />

wortreiche Beschreibung. Dazu werden<br />

viele kühne Fügungen benutzt, wenn etwa<br />

von saftig-reifer Dichte oder von ziselierter<br />

Säure, von karamellig-schmelzigem<br />

Abklang oder von kollosaler<br />

Konzentration die Rede ist. Hinter dem<br />

Streben nach Vollständigkeit tritt die<br />

Angemessenheit der Beschreibung zurück,<br />

und hinter einem Wust von Wörtern<br />

gerät der Wein manchmal aus dem<br />

Blick.<br />

Dem Boulevardstil haftet noch ein<br />

Rest von seriöser Weinbeschreibung an,<br />

doch überwiegt das Streben nach Effekt<br />

und einem Ausdruck, der im Zweifelsfall<br />

immer der Wirkung den Vorzug vor<br />

der Angemessenheit gibt. Man findet<br />

diesen Stil besonders in der populären<br />

Weinpresse, die sich im Verkauf gegen<br />

starke Konkurrenz behaupten muss.<br />

Das hat Folgen für die Weinbeschreibung,<br />

bei der die einprägsame, oft<br />

gesuchte Formulierung wichtiger ist als<br />

das Streben nach Wahrheit und Klarheit<br />

des Ausdrucks.<br />

Solche Weinbeschreibungen greifen<br />

Stereotypen der Werbung auf und bestätigen<br />

das propagierte Lebensgefühl.<br />

Ein Rotwein wird dann als ein nach Lagerfeuer<br />

und Waldbeeren duftender<br />

Wein mit ausdrucksstarker Frucht, eleganten<br />

Elementen und viel Temperament<br />

gepriesen. Ihm wird deshalb attestiert:<br />

Scheint auf der Zunge Tango zu<br />

tanzen. Diesen Boulevardstil hat Vincent<br />

Klink, der wortmächtige Fernsehkoch,<br />

als „verbale Verschwurbelung“<br />

und „unerträglich-selbstbesoffene ,Weindichtung‘“<br />

heftig kritisiert und mit grotesken<br />

Beispielen parodiert: Duft nach<br />

Sattelleder, lehmig im Abgang, staubt in<br />

der Hose.<br />

Auf den fachlichen Sonderwortschatz<br />

zur Weinbeschreibung kann man<br />

nicht verzichten, wenn man schnell und<br />

griffig die wichtigsten Eigenschaften<br />

hervorheben will. Obwohl chemische<br />

Analysen vieler Weineigenschaften bequem<br />

durchzuführen sind, kann nur die<br />

Sinnenprobe die Bewertung durch den<br />

Menschen erkunden. Ihr Ausdrucksmittel<br />

ist die Weinsprache. Sie wird darum<br />

ihre Funktion behalten, solange man<br />

Wein als Kulturgut versteht. Dass man<br />

weinsprachliche Beschreibungen wie eine<br />

Partitur genießen kann, selbst wenn<br />

der edle Tropfen nicht im Glase klingt,<br />

hat Carl Zuckmayer in den Jahren des<br />

Kampfes um Anerkennung als Dramatiker<br />

auf den Rand einer Weinkarte geschrieben:<br />

„Karte mit Verstand gelesen,<br />

ist so gut wie voll gewesen.“ Das gilt<br />

auch heute noch.

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