2012 - Forschung & Lehre
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9|12 <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> STANDPUNKT 693<br />
Peter-André Alt<br />
ist Professor für Neuere<br />
deutsche Literaturwissenschaft<br />
und Präsident der<br />
Freien Universität Berlin.<br />
Foto: Bernd Wannenmacher / Freie Universität Berlin<br />
Im Dickicht<br />
der Programme<br />
Universitäten und<br />
Fachhochschulen in<br />
Deutschland expandieren.<br />
Die Zahl der<br />
Studierenden wächst<br />
stetig, zuletzt begünstigt<br />
durch doppelte<br />
Abiturjahrgänge und<br />
die Aussetzung der<br />
Wehrpflicht. Vor allem<br />
aber nimmt die<br />
Zahl der Studiengänge<br />
zu (was man von<br />
den Budgetsummen<br />
für den Grundhaushalt<br />
leider nicht feststellen<br />
kann). Im Jahr 2011<br />
gab es in Deutschland<br />
gemäß Statistik der Hochschulrektorenkonferenz<br />
16 381 Studienangebote. Der überwältigende Anteil<br />
entfällt auf Bachelorprogramme (7 255),<br />
knapp gefolgt von den Masterprogrammen<br />
(6 634). Das Spektrum der Themen reicht von<br />
„Abenteuer- und Erlebnispädagogik“ bis zu „Zukunftssicheres<br />
Bauen“. Man kann „Digitale Spiele“<br />
studieren, es gibt einen Bachelor in „Hazard<br />
Control“ und einen Master in „Fitnessökonomie“.<br />
Brauchen wir eine derart große, im Detail verwirrende<br />
Bandbreite?<br />
Die Antwort lautet: Die Vielfalt der Offerten ist<br />
kein Indikator für Qualität, sondern ein Merkmal<br />
fehlender Abstimmung und Kontrolle. Das deutsche<br />
Hochschulsystem hat die Zellteilung seiner<br />
Fächer allzu sorglos geschehen lassen. Jede Mode<br />
wird hier zur Disziplin erhoben, jeder Trend mündet<br />
in ein Programm. Man muss kein Prophet sein,<br />
um voraussagen zu können, dass zahlreiche neue<br />
Studienangebote das kommende Jahrzehnt nicht<br />
überleben. Wo gibt es im universitären Spektrum<br />
noch das Fach Kybernetik, das in den 70er Jahren<br />
als Musterbeispiel für die interdisziplinäre Kooperation<br />
zwischen Sozial- und Naturwissenschaften<br />
galt? Viele der seit den 80er Jahren beliebten<br />
Technik-Studiengänge werden heute reihenweise<br />
geschlossen und nicht mehr fortgeführt.<br />
Das Problem liegt in der oftmals unorganischen<br />
Struktur neu geschnittener Studiengänge. Ein Zusammenwerfen<br />
von Einzelaspekten und Themen<br />
ergibt noch keine Disziplin. Allein auf dem Fundament<br />
einer Fachkultur mit ihren eigenen Methoden<br />
und formalen Verfahrensweisen der Erkenntnissicherung<br />
lässt sich jedoch eine wissenschaftsbasierte<br />
Qualifikation vermitteln. Wenn Universitäten<br />
und Hochschulen ihre zentrale Aufgabe<br />
ernstnehmen, dann sollten sie nur solche Studienprogramme<br />
anbieten, die eine methodisch fundierte<br />
Ausbildung auf der Basis disziplinärer Seriosität<br />
vermitteln.<br />
Die mittelalterliche Artistenfakultät kam noch<br />
mit sieben Fächern aus; hinzu traten die Rechtswissenschaft<br />
und die Theologie. Es wäre ein gutes<br />
Zeichen, wenn sich das deutsche Hochschulsystem<br />
auf den Kernbestand der Disziplinen besinnen<br />
und strengere Qualitätsmaßstäbe für seine Studiengänge<br />
etablieren würde. Denn nicht alles, was<br />
am Markt läuft, ist gut für die wissenschaftliche<br />
Ausbildung.