William Shakespeare
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Timon.<br />
Daß die Natur noch zu eben der Zeit hungern soll, da der Unmuth über des Menschen<br />
Unbarmherzigkeit sie des Lebens überdrüßig macht! - - Allgemeine Mutter, du deren<br />
unermeßliche Schoos und unbegrenzte Brust alles gebiehrt und säuget; o du, deren<br />
nemliche Zeugungs-Hize, woraus der stolze Mensch aufdunset, die schwarze Kröte zeugt,<br />
und die blaue Schlange, die goldflekichte Eidechs und den blinden vergifteten Wurm mit<br />
allem andern verabscheuten Ungeziefer, das Hyperions Feuer belebt: Gieb dem der alle<br />
deine menschlichen Söhne hasset, gieb ihm aus deinem unerschöpflichen Busen eine<br />
einzige arme Wurzel. Verstopfe deine fruchtbare gern empfangende Schooß; laß sie<br />
nichts mehr für den undankbaren Menschen hervorbringen. Geh nur mit Tygern,<br />
Drachen, Wölfen und Bären schwanger; schwill von neuen Ungeheuern auf, die dein<br />
emporgerichtetes Antliz dem umwölbenden Himmel nie gezeigt hat! - - O! eine Wurzel - -<br />
habet Dank, ihr Götter! - - trokne deine lokern Adern auf, und deine vom Pflug zerrißne<br />
Schollen, aus denen der undankbare Mensch diese geistigen Säfte und diese niedlichen<br />
Bissen zieht, die sein reines Gemüth mit einem Fett umgeben, woran alle Betrachtung<br />
abglitscht.<br />
Timon zu Apemanthus.<br />
Wieder ein Mensch? Pest! Pest!<br />
Sechste Scene.<br />
Apemanthus.<br />
Ich bin hieher gewiesen worden. Die Leute sagen, du massest dich an, meine Lebensart<br />
nachzuahmen.<br />
Timon.<br />
So muß es deßwegen seyn, weil du keinen Hund hältst, den ich nachahmen könnte. Daß<br />
du die Schwindsucht kriegtest!<br />
Apemanthus.<br />
Es ist an dir nur etwas erzwungnes, eine arme unmännliche Melancholey, die bloß aus<br />
dem Wechsel deines Glüks entsprungen ist. Wozu dieses Grabscheit? Warum in diesem<br />
Walde? Warum dieser sclavenmässige Aufzug? Und diese kummervolle Blike? Deine<br />
Schmeichler tragen indessen Seide, trinken Wein, ligen weich, schwimmen in lieblichen<br />
Gerüchen, und haben vergessen, daß jemals ein Timon war. Entehre diese Kleidung<br />
nicht, die dir das Ansehen und die Vorrechte eines Censors geben soll. Sey du izt ein<br />
Schmeichler, versuch' es, dich nun durch eben dieses fortzubringen, was dich zu Grunde<br />
gerichtet hat; beuge deine Knie, und laß den blossen Athem dessen, dem du aufwartest,<br />
deine Müze vom Kopf herabwehen; erhebe seine lasterhaftesten Ausschweiffungen, und<br />
nenne sie vortreflich. So redte man mit dir; und du gabst deine Ohren dazu her, den<br />
Bierwirthen ähnlich, die Schelmen und alles was zu ihnen kommt willkommen heissen. Es<br />
ist höchst billig, daß du ein Spizbube werdest; hättest du noch Vermögen, so würden<br />
Spizbuben es haben. Affectire keine Gleichheit mit mir, sag ich dir!<br />
Timon.<br />
Wenn ich dir gleich wäre, ich wollte mich selbst wegwerfen.<br />
Apemanthus.<br />
Du hast dich selbst weggeworffen, da du dir selbst gleich warst; so lang' ein Unsinniger,<br />
izt ein Narr! Wie? denkst du, die kalte Luft, dein ungestümer Kammerherr, werde dir ein<br />
warmes Hemde reichen? Meynst du, diese bemooßten Bäume, die den Adler überlebt<br />
haben, werden wie Pagen hinter dir hertreten, und dir auf einen Wink zulauffen? Wird der<br />
kalte, mit Eis candirte Bach dir ein Cordial zum Frühstük geben, um die Unverdaulichkeit<br />
der gestrigen Nachtmahlzeit zu verbessern? Ruffe den nakten Geschöpfen, die der<br />
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