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William Shakespeare

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Fünfter Aufzug.<br />

Erste Scene.<br />

(Der Wald und Timons Höle.)<br />

Flavius tritt auf.<br />

Flavius.<br />

O ihr Götter, ist jener verworfne, zerstörte Mann mein Herr? So abgezehrt, so<br />

eingefallen! O! ein Denkmal, ein Wunder von übelangewandten Gutthaten! Was für eine<br />

Veränderung hat eine verzweiflungsvolle Dürftigkeit in seiner Gemüthsart gemacht! Was<br />

für ein schändlicheres Ding ist auf der Erde als Freunde, die das edelste Gemüth zu<br />

einem solchen Verfall bringen können! Wie wohl schikt sich das Gebott, daß wir unsre<br />

Feinde lieben sollen*, für unsre Zeiten! Wenn es mir auch frey stünde, wollt' ich sie doch<br />

eher lieben als Schmeichler. - - Er hat mich wahrgenommen; ich will ihm meinen<br />

redlichen Kummer zeigen, und bis zum lezten Athemzug sein treuer Diener bleiben.<br />

(Timon kommt aus seiner Höle hervor.) Mein theurester Herr.<br />

Timon.<br />

Weg! Wer bist du?<br />

Flavius.<br />

Habt ihr mich vergessen, mein Herr?<br />

Timon.<br />

Wie magst du fragen? Ich habe alle Menschen vergessen; wenn du also gestehen mußt,<br />

das du ein Mensch bist, so hab ich dich vergessen.<br />

Flavius.<br />

Ein ehrlicher Diener - -<br />

Timon.<br />

So kenn ich dich nicht: ich habe niemals ehrliche Leute um mich gehabt; alle die ich<br />

hatte waren Spizbuben, um Galgenschwengeln beym Essen aufzuwarten.<br />

Flavius.<br />

Die Götter sind Zeugen, daß niemals ein armer Verwalter einen aufrichtigern Schmerz für<br />

seinen zu Grunde gerichteten Herrn gefühlt hat, als meine Augen für euch.<br />

62<br />

(Er weint.)<br />

Timon.<br />

Wie? weinst du? Komm näher, so will ich dich denn lieben, weil du ein Weib bist; du<br />

kanst aus Mitleiden weinen; das kan das kieselsteinerne Herz des männlichen<br />

Geschlechts nicht; wenn ihre Augen übergehen, so geschieht es vor Lachen oder böser<br />

Lust.<br />

Flavius.<br />

Ich bitte euch, mein gütiger Herr, mich nicht abzuweisen, und mir zu verstatten, daß ich<br />

euern Kummer theile, und so lange dieser arme Reichthum daurt, (er zeigt ihm einen<br />

Beutel mit Geld,) euer Verwalter bleibe.

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