Publikation downloaden - MIK NRW
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50 Jahre Verfassungsschutz und politischer Extremismus in Nordrhein-Westfalen 43<br />
schaltet werden, konspirative Wohnungen aufgegeben und eine Vielzahl von operativen<br />
Methoden der Spionageabwehr geändert werden.<br />
Zweite Zäsur: Fall der Mauer und Ende des kalten Krieges<br />
Nach dem Fall der Mauer am 9./10. November 1989 und der politischen Wende in<br />
der DDR gelang es dem US-Geheimdienst CIA mit der Operation »ROSEWOOD«<br />
(»Rosenholz«), sich drei Rollfilme mit Mikrofiches des HVA-Quellennetzes zu beschaffen.<br />
Die Filme enthielten Karteien mit Decknamen und mit einem Verzeichnis<br />
der Klar namen der HVA-Agenten und Hinweise auf aktuelle Spionagevorgänge.<br />
Ca. 1.500 Hinweise gingen an den Generalbundesanwalt (GBA). Über 400 Hinweise<br />
bezogen sich auf Personen in <strong>NRW</strong>. In der Zeit von 1991 bis einschließlich<br />
1998 hat der Generalbundesanwalt gegen mehr als 6.800 Personen Ermittlungsverfahren<br />
wegen Spionage für die DDR und wegen damit zusammenhängender<br />
Strafsachen eingeleitet. Erst 1998 konnte eine weitere Datenbank des ehemaligen<br />
Auslandsnachrichtendienstes der DDR durch die GAUCK-Behörde entschlüsselt<br />
werden. Diese Datenbank (SIRA = System, Information, Recherche der Aufklärung)<br />
enthält über 160.000 Informationen zu etwa 4.500 Quellen der HVA. Die<br />
Aufarbeitung des Materials ist bis heute nicht abgeschlossen.<br />
Nach der Auflösung des Warschauer Paktes am 1. April 1991 bauten die neu entstandenen<br />
Staaten eigene Nachrichtendienste auf. Trotz der deutlichen Entspannungsbemühungen<br />
und der politischen Zielsetzung einer Zusammenarbeit in Mitteleuropa<br />
ist die Einstellung der Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste<br />
gegen die Bundesrepublik Deutschland nur von wenigen Staaten veranlasst worden.<br />
Bezeichnend hierfür ist eine Aussage des Leiters des russischen Auslandsnachrichtendienstes<br />
SWR am 15. Dezember 1997:<br />
»Kein Land mit Selbstrespekt kann ohne Nachrichtendienst existieren, und es besteht<br />
keine Notwendigkeit, diesen allgemein anerkannten Grundsatz zu dramatisieren.«<br />
Trotz dieser Erkenntnislage und der Tatsache, dass die Bundesrepublik als potenter<br />
Industriestaat mit seiner pluralistischen Gesellschaft in der Mitte Europas eine<br />
erhebliche Angriffsfläche für Spionageaktivitäten bietet, wird dies offensichtlich zunehmend<br />
weniger als Bedrohung empfunden. So ist das Hinweisaufkommen aus<br />
der Bevölkerung an die Spionageabwehr drastisch zurückgegangen. Der Personalbestand<br />
der Spionageabwehr des Landes <strong>NRW</strong> wurde nach 1990 um zwei<br />
Drittel reduziert. Die derzeitige Situation in Jugoslawien zeigt jedoch auf, wie wenig<br />
sicher der Frieden wirklich ist. Oft wird erst in Krisensituationen deutlich, wie<br />
dringend nachrichtendienstliche Erkenntnisse benötigt werden.<br />
Neben den klassischen Ausspähungszielen (Militär, Politik, Wissenschaft und<br />
Technik) stehen seit einigen Jahren die Ausforschung der Regimegegner sowie<br />
die Beschaffung von ausfuhrbehinderten (insbesondere proliferationsrelevanten)<br />
Produkten und Know-how im Vordergrund der Bemühungen insbesondere der<br />
Nachrichtendienste der sog. Krisen- und Schwellenländer wie z. B. Iran, Irak, Libyen<br />
und Syrien. Unter Proliferation ist die Weitergabe von atomaren, biologischen<br />
und chemischen Waffen, der Mittel und des Know-how zu deren Herstellung<br />
sowie von Raketentechnologie an sog. Krisenländer zu verstehen.