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Tagungsband Landespsychotherapeutentag 2005 (PDF, 4749 kb)

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Bei dieser Patientin wäre es mir daher wichtig<br />

durch die Verwirklichung der gesprächspsychotherapeutischen<br />

Grundprinzipien eine „sichere<br />

Basis“ nach Bowlby anzubieten und zu spüren,<br />

ob sie dieses Angebot annehmen kann. Ich biete<br />

ihr ein zuverlässiges „für sie da sein„ an. Sie soll<br />

spüren, dass sie vollständig und bedingungsfrei<br />

wertgeschätzt wird, auch wenn sie nicht funktioniert.<br />

Sie kann damit eine „korrigierende Beziehungserfahrung“<br />

machen.<br />

Auch würde ich durch mein kongruentes Vertrauen<br />

in ihre Aktualisierungstendenz ihr die<br />

Hoffnung vermitteln wollen, dass sie ihre Probleme<br />

in den Griff kriegen kann. Unbedingt wertschätzend<br />

aufzugreifen ist in dieser Phase die<br />

u.U. geäußerte „Heilserwartung“ bei gleichzeitiger<br />

Hoffnungslosigkeit und dabei eine ehrliche<br />

Prognose abgeben. Auf eine Äußerung wie „mir<br />

ist sowieso nicht zu helfen“, könnte ich z.B.<br />

reagieren: „Im Augenblick fühlen Sie sich hoffnungslos<br />

verloren, mir macht aber Hoffnung,<br />

dass sie den Weg hierher gefunden haben.“<br />

Anamnestisch wäre zudem z.B. nachzufragen wo<br />

sie aufgewachsen ist, wie Geschwister und Eltern<br />

damit umgehen, dass sie die erste und einzige<br />

Akademikerin in der Familie ist, wieso sie<br />

bezüglich ihres Partners so verzweifelt ist, wie<br />

sie frühere Trennungen von Partnern erlebt hat.<br />

2. In der Symptom/Syndromphase geht es um<br />

das passgenaue Verstehen des Symptomerlebens<br />

und der damit verbundenen Gefühle – also darum,<br />

sich in die subjektive Welt des Patienten<br />

hineinzuversetzen und empathisch zu reagieren.<br />

Die Patientin sollte sich in Bezug auf ihre körperlichen<br />

Symptome sehr ernst genommen fühlen.<br />

In Bezug auf die depressive Symptomatik<br />

der Patientin erscheint mir besonders wichtig,<br />

die Beschwerden zu lokalisieren, konkretisieren<br />

und differenzieren: Wenn die Patientin z.B. sagt<br />

„Es ist alles nur schrecklich.“ würde ich lieber<br />

nicht reagieren mit: „Heute fühlen sie sich wieder<br />

ganz mies.“ Das würde eher das Gefühl von<br />

Hilflosigkeit und Ohnmacht verstärken. Stattdessen<br />

würde ich nachfragend reagieren: „War da<br />

etwas, was sie besonders schlimm herruntergezogen<br />

hat?“ Dann käme vielleicht: „Gestern war<br />

ich wieder bei meiner Mutter.“ – und damit wären<br />

wir beim konkreten Erleben in der konkreten<br />

Situation, was der Patientin eher erlaubt, aktiv<br />

reagieren zu können. Wichtig ist hier auch die<br />

Einbeziehung des „inneren Bezugrahmens“. Es<br />

geht dabei nicht nur um das Verstehen der einzelnen<br />

konkreten Gefühle, sondern auch darum,<br />

wie die Patientin ihr Erleben bewertet bzw. was<br />

sie zu ihren Gefühlen fühlt. So könnte eine weitere<br />

therapeutische Reaktion aussehen: „sie sind<br />

jetzt noch enttäuscht und ärgern sich, auch darüber,<br />

dass sie sich über ihre Mutter ärgern.“ Als<br />

Therapeutin konsequent will ich nicht wertend<br />

sondern wertschätzend sein. Dadurch wird die<br />

Selbstexploration angeregt und die Anerkennung<br />

der eigenen Gefühle gefördert.<br />

3. In der Konflikt/Problemphase geht es um die<br />

hinter den Symptomen liegende Problematik. Bei<br />

dieser Patientin sind das nicht in das Selbstkonzept<br />

integrierte Erfahrungen. Die inzwischen sichere<br />

Arbeitsbeziehung verbunden mit empathischem<br />

Verstehen, dicht am Erleben bleibend,<br />

könnte der Patientin erlauben, Wut und Angst<br />

zuzulassen, den dahinter liegenden Schmerz in<br />

dem angstfreien und nicht wertenden Rahmen der<br />

Therapie zu erleben und in das Selbstkonzept zu<br />

integrieren. Widerstände, die oft in dieser Phase<br />

auftauchen, sind bedingungsfrei zu akzeptieren.<br />

Klärende Interpretationen und Konfrontationen<br />

können bei ihrer Bearbeitung helfen.<br />

In der zweiten und dritten Phase könnten bei dieser<br />

Patientin Erlebnis aktivierende Interventionen<br />

angeboten werden – z.B. aus dem Focusing, aus<br />

der Gestalttherapie oder Arbeit mit dem „inneren<br />

Kind“ – dann, wenn ich den Eindruck hätte, dass<br />

die Patientin solche Angebote annehmen kann und<br />

der Verstehens – und Integrationsprozess dadurch<br />

gefördert werden kann.<br />

4. Auf die Existentielle Phase, in der u.a. die<br />

Fragen nach dem Sinn des Lebens auftauchen<br />

gehe ich nicht ein.<br />

5. In der Abschiedsphase ist es wichtig, einen<br />

Abschied zu erarbeiten, der evtl. vorhandene<br />

schmerzhafte Trennungserfahrungen nicht wiederholt<br />

und bei dem die Patientin erleben kann,<br />

dass sie nicht verlassen wird, weil sie nicht „akzeptabel“<br />

ist. Meine Erfahrung mit depressiven<br />

Patienten zeigt, dass ich den Abschied häufig<br />

selbst thematisieren muss – also rechtzeitig die<br />

Nichtdirektivität aufgeben muss. Nicht selten<br />

treten in dieser Phase „alte“ Symptome wieder<br />

auf. Wut, Angst und Enttäuschung werden Thema.<br />

Werden diese Gefühle bedingungsfrei anerkannt<br />

und verstanden, kann der Abschied eine<br />

positive Erfahrung - im Sinne der Bewältigung<br />

eines wichtigen Lebensabschnittes - werden und<br />

sich von allen bisherigen Abschiedserfahrungen<br />

unterscheiden.<br />

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