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Abschied von Wachstum und Fortschritt - Technikgeschichte der ...

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Patrick Kupper: Umweltbewegung <strong>und</strong> Atomenergie ETH Zürich / <strong>Technikgeschichte</strong> / Preprint 2 / Seite 120<br />

6. Schlussbetrachtungen<br />

Zum Schluss sollen die wichtigsten Erkenntnisse <strong>der</strong> Arbeit zusammengetragen <strong>und</strong> unter<br />

Beizug <strong>der</strong> Theorien <strong>von</strong> Foucault <strong>und</strong> Siegenthaler diskutiert werden. Dies geschieht in<br />

sechs Punkten: im ersten werden drei Dimensionen des Wandels thematisiert: Diskurs, Promotoren<br />

<strong>und</strong> Artikulationsformen; <strong>der</strong> zweite ist dem Zusammenhang zwischen Diskurs<br />

<strong>und</strong> Macht gewidmet; <strong>der</strong> dritte behandelt den Atomenergiediskurs in den Umweltorganisationen,<br />

<strong>der</strong> vierte vergleicht die Denkmuster <strong>der</strong> 60er <strong>und</strong> 70er Jahre; <strong>der</strong> fünfte beleuchtet<br />

die wechselseitigen Beziehungen zwischen <strong>der</strong> Umweltbewegung <strong>und</strong> dem Atomenergiediskurs;<br />

<strong>der</strong> sechste schliesslich fragt nach <strong>der</strong> Aussagekraft <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Atomenergie<br />

für den gesamten Umweltbereich.<br />

1. Diskurse, Promotoren, Artikulationsformen: drei Dimensionen des sozialen Wandels<br />

Bis Ende <strong>der</strong> 60er Jahre wurde die zivile Nutzung <strong>der</strong> Atomenergie <strong>von</strong> einem allseitigen<br />

Konsens getragen. Kritische Stimmen, die vereinzelt erhoben wurden, fanden in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

keine Resonanz. In den Jahren ab 1969 wurde die Atomenergie dann aber binnen kürzester<br />

Zeit zu einem heissumstrittenen Politikum. In dieser Entwicklung lassen sich drei Dimensionen<br />

unterscheiden, die aber in einem engen wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis<br />

standen: 1. <strong>der</strong> öffentliche Atomenergiediskurs, 2. die Promotoren <strong>der</strong> Opposition, 3. die<br />

Artikulationsformen <strong>der</strong> Opposition.<br />

1. Der öffentliche Atomenergiediskurs zerfällt in den Jahren <strong>von</strong> 1969 bis 1975 in zwei Phasen.<br />

Die erste Phase begann mit den baselstädtischen <strong>und</strong> basellandschaftlichen Proklamationen<br />

im Frühling 1969, <strong>der</strong>en Auslöser <strong>der</strong> Bericht <strong>der</strong> Expertenkommission Baldinger war.<br />

Die ersten Kritiken bezogen sich auf die fehlende fö<strong>der</strong>alistische Mitbestimmung <strong>und</strong> den<br />

Gewässerschutz. Sie wurden im folgenden ergänzt durch Befürchtungen, die die Ges<strong>und</strong>heit<br />

<strong>und</strong> - als Folge des Kühlturmentscheids - das Landschaftsbild <strong>und</strong> das regionale Klima betrafen.<br />

Erste Stimmen, die die zweite Phase einläuteten, erhoben sich 1972. Deren Kennzeichen<br />

war die gr<strong>und</strong>sätzliche Ablehnung <strong>der</strong> Atomenergie. Die Argumente für diese Ablehnung<br />

stammten aus dem Umweltdiskurs, <strong>der</strong> fortan denjenigen über die Atomenergie prägte.<br />

2. Als Promotoren <strong>der</strong> Opposition traten bereits in den 60er Jahren einzelne Personen auf, die<br />

aber bis Ende des Jahrzehnts keine Resonanz in <strong>der</strong> Gesellschaft fanden. Dies än<strong>der</strong>te sich<br />

1969 als Politiker <strong>und</strong> Beamte aus den beiden Basler Kantonen den Bau des AKW Kaiseraugst<br />

zum Politikum machten. Darauf bildeten sich lokale <strong>und</strong> regionale Gegnerkomitees,<br />

<strong>von</strong> denen das NAK das einflussreichste war. 524 Das Jahr 1973 bildete dann einen wichtigen<br />

Markstein. In diesem Jahr stiessen zuerst die Umweltorganisationen zum atomenergiekritischen<br />

Lager. Später kamen Gruppierungen <strong>der</strong> alternativen Subkultur <strong>und</strong> <strong>der</strong> Neuen Linken<br />

hinzu, wobei sich insbeson<strong>der</strong>e die Gründung <strong>der</strong> GAK als bedeutsam erwies. Die<br />

AKW-Gegner gewannen dadurch sowohl entscheidend an argumentativem Rückhalt als<br />

auch an Mobilisierungskraft für direkte Aktionen.<br />

3. Es lässt sich ein Wandel bei <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Instrumente zur Beeinflussung <strong>der</strong> Atomenergiepolitik<br />

feststellen. Neben die traditionellen Instrumente <strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeit (Stellungnahmen,<br />

Demonstrationen) <strong>und</strong> die Anwendung <strong>der</strong> institutionalisierten Mitsprachemöglichkeiten<br />

(politische Initiativen, rechtliche Einsprachen etc.) traten Ende 1973 durch die<br />

524 Beachtenswert ist auch, dass viele AKW-Gegnerinnen <strong>der</strong> ersten St<strong>und</strong>e im Schweizerischen Verein für<br />

Volksges<strong>und</strong>heit (SVV) organisiert waren. An<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um hatten bereits in <strong>der</strong> Antiatomwaffenbewegung<br />

mitgemacht. Das verweist auf zwei Kontinuitäten: Erstens zur Friedensbewegung <strong>der</strong> 1950/60er Jahre <strong>und</strong><br />

zweitens zur Lebensreformbewegung <strong>der</strong> ersten Jahrzehnte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Letztere Kontinuität findet<br />

sich auch in an<strong>der</strong>en Umweltbereichen, zum Beispiel dem biologischen Landbau. Vgl. Kupper 1996.

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