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Abschied von Wachstum und Fortschritt - Technikgeschichte der ...

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Patrick Kupper: Umweltbewegung <strong>und</strong> Atomenergie ETH Zürich / <strong>Technikgeschichte</strong> / Preprint 2 / Seite 79<br />

„(…) dass langfristig nicht die Emissionen <strong>der</strong> elektrischen Produktionsanlagen die entscheidenden<br />

Grenzen für die Stabilisierung unseres künftigen Weltsystems bilden<br />

werden, son<strong>der</strong>n, dass im Gegenteil die an<strong>der</strong>swo festgelegten Schranken (…) durch<br />

die Elektrizität noch erweitert werden können.“ 351<br />

Zusammenfassend können wir festhalten: Ausgehend <strong>von</strong> einem weiteren <strong>Wachstum</strong> des<br />

„Energiebedarfs“ argumentierten die Promotoren <strong>der</strong> Atomenergie, dass <strong>der</strong> Bau <strong>von</strong> Atomkraftwerken<br />

hinsichtlich des Umweltschutzes die bessere Alternative sei als die Ausweitung<br />

<strong>der</strong> Energieversorgung auf <strong>der</strong> Basis <strong>von</strong> Erdöl. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e sei gar eine Substitution<br />

<strong>der</strong> flüssigen Brenn- <strong>und</strong> Treibstoffe durch den „sauberen“ Atomstrom anzustreben. Die<br />

Gefahren <strong>und</strong> Probleme <strong>der</strong> Atomenergie habe man entwe<strong>der</strong> technisch im Griff (Strahlungsrisiko)<br />

o<strong>der</strong> ständen vor technischen Lösungen (radioaktive Abfälle, Raubbauproblem).<br />

Hinsichtlich des <strong>Wachstum</strong>s vertraten die Befürworter <strong>der</strong> Atomenergie eine 'Durchbrecher-<br />

These': Sofern genügend Energie bereitgestellt werde, behaupteten sie, könne ein technischer<br />

Umweltschutz die ökologischen Probleme lösen. Die „künstliche“ Verknappung auf <strong>der</strong> Angebotsseite<br />

lehnten sie ab, da diese auf die wirtschaftliche <strong>und</strong> gesellschaftliche Entwicklung<br />

zerstörerisch wirken würde.<br />

5.2.2. Die Gegner <strong>der</strong> Atomenergie <strong>und</strong> ihre Argumente<br />

Öffentlich gegen die Atomenergie sprachen sich Wissenschaftler aus ganz unterschiedlichen<br />

Disziplinen aus; verbindendes Merkmal war ihr Engagement in <strong>der</strong> Umweltdebatte. Zu diesen<br />

Wissenschaftlern gehörten <strong>der</strong> Umweltbiologe Pierre A. Tschumi <strong>von</strong> <strong>der</strong> Universität<br />

Bern <strong>und</strong> <strong>der</strong> in London wirkende, deutsche Ökonom Ernst Friedrich Schumacher, <strong>der</strong> sich<br />

in den Jahren 1972 <strong>und</strong> 1973 mehrmals in <strong>der</strong> Schweiz aufhielt, ebenso wie <strong>der</strong> Berliner Zukunftsforscher<br />

Robert Jungk, <strong>der</strong> zum medienwirksamsten Wortführer des Anti-AKW-<br />

Protests in Deutschland wurde. 352 Aber auch Schweizer Physikprofessoren äusserten sich<br />

kritisch: so Walter Heitler <strong>von</strong> <strong>der</strong> Universität Zürich <strong>und</strong> Jean Rossel <strong>von</strong> <strong>der</strong> Universität<br />

Neuenburg. 353<br />

Eine hervorragende Rolle im Lager <strong>der</strong> Gegner spielte eine Gruppe <strong>von</strong> Wissenschaftlern,<br />

die im sogenannten „NAWU“-Projekt zusammenarbeiteten. NAWU hiess „Nationalfondsprojekt<br />

<strong>Wachstum</strong> <strong>und</strong> Umwelt“ <strong>und</strong> stand unter <strong>der</strong> Leitung des Ökonomieprofessors Hans<br />

Christoph Binswanger, <strong>der</strong> bereits 1969 seine Antrittsvorlesung an <strong>der</strong> Hochschule St. Gallen<br />

unter den Titel „Wirtschaftliches <strong>Wachstum</strong> - <strong>Fortschritt</strong> o<strong>der</strong> Raubbau?“ gestellt hatte. 354<br />

Das Projekt startete 1972 mit finanzieller Unterstützung des Nationalfonds, aber auch <strong>von</strong><br />

privater Seite, etwa dem SBN, <strong>und</strong> vereinigte ein interdisziplinäres Forschungsteam mit Vertretern<br />

<strong>von</strong> vier Hochschulen (ETH <strong>und</strong> Universität Zürich, Universität Konstanz, Handelshochschule<br />

St. Gallen) <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wirtschaft. Die ursprüngliche Zielsetzung lautete:<br />

„Wie <strong>und</strong> mit welchen politisch-rechtlichen Steuerungsstrukturen ist es möglich, aus<br />

<strong>der</strong> Phase eines exponentiellen <strong>Wachstum</strong>s in geordneter Weise, ohne ökonomische<br />

Krisen, in ein ökonomisch-ökologisches Gleichgewicht zu gelangen?“<br />

351 Trümpy, S. 183.<br />

352 Alle drei Wissenschaftler partizipierten an <strong>der</strong> Tagung des GDI im Februar 1972 (Energie, Mensch <strong>und</strong> Umwelt),<br />

Tschumi <strong>und</strong> Jungk am Symposium in St. Gallen 1972 (Horn u.a.), Schumacher <strong>und</strong> Tschumi an einer<br />

Veranstaltung des NAK im April 1972 (AZ, Nr. 89, 17.4.1972) <strong>und</strong> Schumacher am ETH-Symposium 1973<br />

(Fornallaz). Zur Rolle <strong>von</strong> Jungk in <strong>der</strong> deutschen Anti-AKW-Bewegung: Radkau 1983, S. 435.<br />

353 Beide Physiker waren im Patronatskomitee <strong>der</strong> UeBA Luzern: Sozarch, 92.3.C, QS, „UeBA LU: Atomkraftwerke<br />

ja o<strong>der</strong> nein?“, Flugblatt, verm. 1974. Rossel war zudem Vorstandsmitglied <strong>der</strong> SGU, 1978 erschien sein<br />

Buch „Atompoker: Kernindustrie in kritischem Licht“ - das französische Original erschien ein Jahr zuvor<br />

(Rossel).<br />

354 Der Text <strong>der</strong> Vorlesung, <strong>der</strong> sich auch heute noch mit Gewinn liest, findet sich in Binswanger 1991, S. 27-41.<br />

Er wurde erstmals in <strong>der</strong> NZZ veröffentlicht: NZZ, Nr. 351, 31.7.1970.

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