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Abschied von Wachstum und Fortschritt - Technikgeschichte der ...

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Patrick Kupper: Umweltbewegung <strong>und</strong> Atomenergie ETH Zürich / <strong>Technikgeschichte</strong> / Preprint 2 / Seite 123<br />

des Diskurses kann daher eindeutig als Phase regelgeb<strong>und</strong>enen Lernens interpretiert werden.<br />

Nach einem Zeitabschnitt, in dem die Atomenergie in den Umweltorganisationen kein Thema<br />

war, setzten die Diskussionen ab 1969 wie<strong>der</strong> ein. Der folgende Diskurs lässt sich in drei<br />

Phasen einteilen. In <strong>der</strong> ersten Phase, die <strong>von</strong> 1969 bis 1972 dauerte, wurden einzelne Aspekte<br />

des Betriebs <strong>von</strong> Atomkraftwerken kritisch thematisiert, aber, ohne dass die Atomenergiepolitik<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich in Frage gestellt worden wäre. Zu diesen Aspekten gehörten die<br />

Kühlwasserproblematik <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitliche Gefahren, sowie (nach Bekanntgabe <strong>der</strong> Kühlturmprojekte)<br />

Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes <strong>und</strong> Auswirkungen auf das regionale<br />

Klima. Nun stiessen Vorbehalte erstmals auf breitere Resonanz, nachdem die Atomenergie<br />

sich während Jahrzehnten in einem kritikfreien Raum bewegt hatte. Dennoch sollte<br />

die Bruchlinie nicht vor o<strong>der</strong> in diesen Jahren gezogen werden. Die Vorbehalte dieser Jahre<br />

verliefen nämlich in traditionellen Bahnen: im Gewässerschutz, Immissionsschutz <strong>und</strong><br />

Landschaftsschutz.<br />

Der Bruch in <strong>der</strong> Entwicklung fand vielmehr in <strong>der</strong> zweiten Phase statt, die die Jahre 1972<br />

<strong>und</strong> 1973 umfasst, <strong>und</strong> in <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Diskurs um die Atomenergie, wie er in den Umweltorganisationen<br />

geführt wurde, sprunghaft verän<strong>der</strong>te. Die Kommunikationsprozesse dieser<br />

Phase lassen sich als Prozesse f<strong>und</strong>amentalen Lernens verstehen. In <strong>der</strong>en Verlauf erarbeiteten<br />

sich die Akteure zunächst einmal neue, relevante Fragestellungen, die sie dann in vielen<br />

Diskussionen erweiterten, einordneten, gewichteten <strong>und</strong> schliesslich beantworteten. Die Kriterien<br />

für die Behandlung des Problems Atomenergie stammten aus einem Diskurs, <strong>der</strong> in<br />

dieser Arbeit mit dem Begriff <strong>der</strong> „1970er Diagnose“ gefasst wurde, <strong>und</strong> zu dessen zentralem<br />

Gegenstand die Diskussion über die „Grenzen des <strong>Wachstum</strong>s“ wurde. Während dieses<br />

Kommunikationsprozesses verständigten sich die Akteure <strong>der</strong> Umweltorganisationen auf<br />

f<strong>und</strong>amental neue Deutungsmuster. Diese beinhalteten eine radikale Kritik am wachstums<strong>und</strong><br />

fortschrittsgläubigen Entwicklungskurs <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

Für den in dieser Entwicklung als Schlüsselgrösse identifizierten Energiebereich verlangten<br />

die Umweltorganisationen eine die ökologischen Gegebenheiten beachtende „Gesamtenergiekonzeption“,<br />

die den Rahmen für zukünftige Entscheidungen bilden sollte. Zugleich propagierten<br />

sie drei Lösungswege. Erstens die Möglichkeiten des Energiesparens. Zweitens die<br />

Substitution umweltschädigen<strong>der</strong> durch umweltschonende Technologien wie insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Sonnenenergie. Und drittens - als längerfristige Vision - die Entwicklung einer neuen,<br />

umweltgerechten Gesellschaft, die mit weniger Energie mehr „Lebensqualität“ produzieren<br />

könne.<br />

Wie die Atomenergie zu beurteilen sei, war anfangs <strong>der</strong> zweiten Phase noch völlig offen. Die<br />

„Substitutions“-Argumentation <strong>von</strong> Atomenergiebefürwortern, die den Bau <strong>von</strong> Atomkraftwerken<br />

verglichen mit <strong>der</strong> Erhöhung des Erdölverbrauchs als umweltgerechtere Lösung<br />

des „Energieproblems“ anpries, also an die Sichtweise <strong>der</strong> 60er Jahre anknüpfte, schien<br />

noch zu Beginn des Jahres 1973 vielen Akteuren in den Umweltorganisationen plausibel. Die<br />

„1970er Diagnose“ brachte dann aber die oben geschil<strong>der</strong>te entscheidende Umdeutung des<br />

„Energieproblems“. In <strong>der</strong> neuen Perspektive wurde nun <strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong> Atomkraftnutzung<br />

aus drei Gründen verworfen: Erstens wurde ein auf höherem Energieinput basierendes<br />

Wirtschaftswachstum abgelehnt, da dieses die Umwelt zusätzlich belasten würde. Die Mehrenergie<br />

aus den geplanten Atomkraftwerken war daher ganz <strong>und</strong> gar unerwünscht. Zweitens<br />

glaubten die Umweltschützer, dass das Uran, die Ressource <strong>der</strong> Atomkraftwerke, in<br />

absehbarer Zeit aufgebraucht sein würde, die Atomenergie also keine dauerhafte Lösung<br />

darstelle. Drittens schliesslich wurden die Umweltbelastungen durch die radioaktiven Stoffe<br />

als völlig unverantwortbar beurteilt.

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