Abschied von Wachstum und Fortschritt - Technikgeschichte der ...
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Patrick Kupper: Umweltbewegung <strong>und</strong> Atomenergie ETH Zürich / <strong>Technikgeschichte</strong> / Preprint 2 / Seite 38<br />
Im Dezember 1962 reichte Bächtold im Nationalrat ein Postulat ein, in dem er prophezeite,<br />
dass die Schweiz in etwa zehn Jahren in eine Zwangslage geraten werde, die sie nötigen<br />
könnte, „gegen den Willen <strong>der</strong> Mehrheit des Volkes hydraulische o<strong>der</strong> thermische Kraftwerke<br />
zu errichten“. Deshalb ersuchte er den B<strong>und</strong>esrat, „zu prüfen, wie <strong>der</strong> Einsatz <strong>der</strong> Atomenergie<br />
für unsere Elektrizitätsversorgung geför<strong>der</strong>t werden kann, um die erwähnte Energieklemme<br />
zu vermeiden“. 151<br />
Ebenfalls 1962 begann <strong>der</strong> SBN, sich mit den Plänen <strong>der</strong> Elektrizitätswirtschaft auseinan<strong>der</strong>zusetzen,<br />
die den Bau mehrerer grosser, auf <strong>der</strong> Basis <strong>von</strong> Öl arbeiten<strong>der</strong> thermischer Kraftwerke<br />
vorsahen. 152 Die Diskussionen wurden <strong>von</strong> Beginn weg vor dem Hintergr<strong>und</strong> alternativer<br />
Möglichkeiten <strong>der</strong> Elektrizitätsgewinnung geführt: <strong>der</strong> Nutzung <strong>von</strong> Wasserkraft <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> erwarteten Anwendung <strong>von</strong> Atomkraft. 153<br />
Nachdem <strong>der</strong> SBN bereits 1961 eine umfassende Planung auf dem Sektor <strong>der</strong> Energiebeschaffung<br />
gefor<strong>der</strong>t hatte, erwähnte <strong>der</strong> Jahresbericht 1962 dann erstmals die Atomenergie.<br />
Im Abschnitt „Gewässerschutz“ wurde ausgeführt:<br />
„Langsam nähern wir uns dem Vollausbau unserer Gewässer. Immer deutlicher zeichnet<br />
sich ein Engpass in <strong>der</strong> Energieversorgung ab, wenn nicht auf das letzte nutzungswürdige<br />
Gewässer gegriffen werden soll. Fachleute geben offen zu, dass die<br />
Schweiz in bezug auf die Atomnutzung, verglichen mit dem Ausland, stark im Rückstand<br />
ist. (…) Der Vorstand hat in einer Eingabe dem B<strong>und</strong>esrat seine Sorge über die<br />
fehlende, aber dringend nötige Gesamtplanung <strong>der</strong> Energiebeschaffung ausgedrückt,<br />
die auch den berechtigten Wünschen des Naturschutzes Rechnung trägt.“ 154<br />
Dass sich beim SBN im folgenden ein neuer Orientierungsbedarf zum Thema Energieversorgung<br />
<strong>und</strong> Naturschutz manifestierte, zeigt die Bildung einer speziellen „Kommission für<br />
Energiewirtschaftsfragen“, die am 1. Oktober 1963 zum ersten Mal zusammentraf. Sie wurde<br />
<strong>von</strong> SBN-Präsident Bächtold präsidiert <strong>und</strong> setzte sich aus je zwei Mitglie<strong>der</strong>n des Vorstandes<br />
<strong>und</strong> des Naturschutzrates sowie Sekretär Dieter Burckhardt zusammen. 155 Zur Debatte<br />
stand die Frage, wie thermische Kraftwerke in bezug auf den Naturschutz, insbeson<strong>der</strong>e auf<br />
die Lufthygiene, zu beurteilen seien. Bächtold verknüpfte die Thematik sogleich mit <strong>der</strong><br />
Atomenergie:<br />
„Die Abklärung über die Fragen <strong>der</strong> thermischen Kraftwerke müssen uns zeigen, ob<br />
man sich in bezug auf den Einsatz <strong>von</strong> Atomkraftwerken noch Zeit lassen kann o<strong>der</strong><br />
nicht.“ 156<br />
In diesem Zusammenhang fragten sich die Sitzungsteilnehmer, ob ausländische Atomreaktoren<br />
eingekauft werden sollten <strong>und</strong> ob sich allenfalls errichtete thermische Kraftwerke in<br />
einem späteren Schritt durch Atomkraftwerke ersetzen liessen. 157<br />
sche Anlage <strong>von</strong> Atomkraftwerken <strong>und</strong> die Nutzung <strong>der</strong> Wärme zu Heizzwecken engagierte sich Jakob Bächtold<br />
auch noch in den 70er Jahren. Siehe Abschn. 5.3.2.<br />
151 Postulat Bächtold vom 14.10.1962, vom Nationalrat überwiesen am 2.10.1963. Zit. nach: Verh. B.vers., Herbstsession<br />
1963, S. 20.<br />
152 Zu den thermischen Kraftwerkprojekten: Energiewirtschaft, S. 38-42; zum Wi<strong>der</strong>stand dagegen: Sken<strong>der</strong>ovic<br />
1992, S. 132-147. Auslöser <strong>der</strong> Diskussionen im SBN-Vorstand war ein Schreiben des Aargauischen B<strong>und</strong>es für<br />
Naturschutz bezüglich thermischer Kraftwerkprojekte im Aargau. ArSBN, B 1.1, ProV 53/8, 15.8.1962, S. 6f.<br />
153 ArSBN, K 3.4.<br />
154 Jahresbericht 1962, SN, 2/1963, S. 52. Jahresbericht 1961, SN, 2/1962, S. 54.<br />
155 Aus dem Vorstand nahmen <strong>der</strong> Ingenieur E. A. Thomas <strong>und</strong> H. Utzinger Einsitz, aus dem Naturschutzrat W.<br />
Knoll <strong>und</strong> G. Lehner, <strong>der</strong> Direktor bei <strong>der</strong> Elektrowirtschaft war. Die Kommission verfügte also über einiges<br />
Fach- <strong>und</strong> Insi<strong>der</strong>wissen.<br />
156 ArSBN, K 3.2, „Protokoll <strong>der</strong> ersten Sitzung <strong>der</strong> Kommission für Energiewirtschaftsfragen vom 1. Oktober im<br />
Bahnhofsbüfett Zürich“, 1963, S. 3.<br />
157 Ebd. Die Sitzungsteilnehmer vereinbarten, zur Klärung <strong>der</strong> aufgeworfenen Fragen eine Aussprache mit Vertretern<br />
<strong>der</strong> Elektrizitätswirtschaft zu suchen. Für die folgenden beiden Jahren sind keine weiteren Sitzungen<br />
<strong>der</strong> Kommission dokumentiert. Auf den nächsten Hinweis stiess ich erst im Dezember 1965, als <strong>der</strong> Natur-