Abschied von Wachstum und Fortschritt - Technikgeschichte der ...
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Patrick Kupper: Umweltbewegung <strong>und</strong> Atomenergie ETH Zürich / <strong>Technikgeschichte</strong> / Preprint 2 / Seite 92<br />
Wie weit die Ansichten innerhalb des SBN Ende 1972 noch auseinan<strong>der</strong>gingen, zeigten die<br />
Aktionen, welche zwei Sektionen fast zeitgleich unternahmen: die Einsprache <strong>der</strong> Sektion<br />
Solothurn gegen das AKW Gösgen <strong>und</strong> die öffentliche Stellungnahme <strong>der</strong> Sektion Genf zum<br />
Projekt Verbois. Beide wurden im Schweizer Naturschutz 2/1973 abgedruckt.<br />
Am 14. Dezember 1972 erhob <strong>der</strong> Solothurnische Naturschutzverband eine „vorsorgliche<br />
Einsprache“ gegen das projektierte AKW Gösgen. In <strong>der</strong> Begründung heisst es:<br />
„Damit wollen wir die Notwendigkeit einer Nutzung <strong>der</strong> Atomenergie nicht bezweifeln.<br />
Wir möchten mit diesem Schritt jedoch die erstrangige Bedeutung <strong>der</strong> Standortwahl<br />
<strong>und</strong> -gestaltung bei solchen Anlagen unterstreichen.“<br />
Die Solothurner Sektion bedauerte „aus Gründen <strong>der</strong> Sicherheit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ästhetik“, dass das<br />
Werk nicht in einer Felskaverne gebaut werde. Danach folgten sechs materielle Punkte <strong>der</strong><br />
Einsprache: Punkt 1 befasst sich mit dem Schutz <strong>der</strong> Uferlandschaft an <strong>der</strong> Aare. Punkt 2<br />
for<strong>der</strong>t auf <strong>der</strong> Südseite in Form eines Grünstreifens „eine Lärm- <strong>und</strong> Sichtkulisse auf <strong>der</strong><br />
ganzen Länge des Werks (auch beim Kühlturm!).“ Punkt 3 verwehrt sich gegen Rodungen<br />
<strong>von</strong> Wald. Punkt 4 for<strong>der</strong>t die Mitarbeit eines Landschaftsgestalters. Punkt 5 stellt den Antrag,<br />
„(…) dass <strong>der</strong> massige Koloss des Kühlturms (147 m hoch, an <strong>der</strong> Basis 119 m breit)<br />
durch einen Künstler bemalt wird (mit breiten, leichten Farbbän<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> wolkenförmigen<br />
Farbflächen), so dass er einigermassen <strong>von</strong> <strong>der</strong> Landschaft assimiliert wird, ein<br />
anregendes optisches Eigenleben entwickelt <strong>und</strong> darüber hinaus sozusagen als monumentales<br />
Zweck-Kunstwerk den <strong>von</strong> ihm dominierten weiten Bereich auflockert<br />
(diese nicht allzu kostspielige Verfremdung wird sich auch psychologisch vorteilhaft<br />
auswirken). Wir sind bereit, einige qualifizierte Künstler zu nennen (…).“<br />
Punkt 6 schliesslich verlangt „im Interesse <strong>der</strong> umliegenden Bevölkerung“, dass ein „doppeltes<br />
Ersatzkühlsystem“ erstellt werde. Die schwerste Gefährdung durch Radioaktivität bestehe<br />
erwiesenermassen beim Ausfall des Kühlsystems. 404 Die zentrale Sorge, die die Solothurner<br />
Sektion im Dezember 1972 plagte, war also eindeutig die Ästhetik <strong>der</strong> in Gösgen geplanten<br />
Kühltürme.<br />
Ganz an<strong>der</strong>s tönte die öffentliche Verlautbarung <strong>der</strong> „Association genevoise pour la protection<br />
de la nature“ (AGNP), in <strong>der</strong> die Genfer Sektion ihren Beschluss verkündete, gegen das<br />
AKW-Projekt Verbois zu opponieren. Zwar beginnt auch sie mit dem Landschaftsschutz -<br />
die Höhe <strong>der</strong> Anlage sei „inadmissible dans le paysage“ - geht dann aber viel weiter: Sie beanstandet<br />
die Erwärmung <strong>der</strong> Gewässer, die Auswirkungen auf das lokale Klima <strong>und</strong> die<br />
Nähe <strong>der</strong> Bauten zur geschützten Region Moulin-de-Vert mit ihrem Naturschutzgebiet, zeigt<br />
sich zudem beunruhigt über die Nähe des Standorts zur Stadt <strong>und</strong> ihrem Flughafen <strong>und</strong> die<br />
Lage in einem mit <strong>der</strong> Rhone verb<strong>und</strong>enen Gr<strong>und</strong>wassergebiet, so dass ein Leck, ein Unfall<br />
o<strong>der</strong> ein Attentat gefährliche <strong>und</strong> langfristige Folgen haben könnten „pour les eaux (sans<br />
parler des hommes).“ Eine weitere Gefahrenquelle sei die Lagerung <strong>der</strong> radioaktiven Abfälle,<br />
die nicht befriedigend gelöst scheine. Aber auch auf einer an<strong>der</strong>en Ebene, <strong>der</strong>jenigen des<br />
„l'avenir des espaces naturels“, ergäben sich beunruhigende Konsequenzen. Das AKW würde<br />
die Expansion beschleunigen, unter <strong>der</strong> man heute schon leide. Und:<br />
„De tout évidence, ce seront les espaces encore naturels qui devront subir la pression<br />
accrue des prétendues nécessités et des demandes que provoquera le nouvel apport<br />
d'énergie. Que celle-ci soit non polluante ne peut guère compenser le développement<br />
d'autres pollutions résultant de sa stimulation.“<br />
404 ArSBN, B 1.2, Akte 27/73. Einsprache abgedruckt in SN, 2/1973, S. 14. Mit dem Vorschlag des AKW-Baus in<br />
Felskavernen griff die Solothurner Sektion eine alte For<strong>der</strong>ung des SBN auf, die Jakob Bächtold bereits in den<br />
60er Jahren mit Nachdruck gestellt hatte. Vgl. Kap. 4.