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Abschied von Wachstum und Fortschritt - Technikgeschichte der ...

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Patrick Kupper: Umweltbewegung <strong>und</strong> Atomenergie ETH Zürich / <strong>Technikgeschichte</strong> / Preprint 2 / Seite 84<br />

tenkreise um Wissenschaftler aller ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> umwelt-relevanten Disziplinen, an<strong>der</strong>erseits<br />

warf man den Atomexperten vor, ihre Bravourstücke in völliger Blindheit gegenüber<br />

grösseren ökologischen Zusammenhängen aufzuführen. 375<br />

Drittens schliesslich wurde die Möglichkeiten einer verlässlichen wissenschaftlichen Expertise<br />

in komplexen Fragen generell bezweifelt. Hierbei verwies man auf vergangene Fehlbeurteilungen<br />

<strong>der</strong> Wissenschaft, bei welchen die negativen Nebenwirkungen <strong>und</strong> Spätfolgen<br />

neuer Technologien übersehen worden waren. Das klassische Beispiel für ein solches wissenschaftliches<br />

Fehlurteil, das in fast keinem Argumentarium gegen die Atomenergie fehlte,<br />

betraf das Pflanzenschutzmittel DDT. 376 Aus diesen Zweifeln an den Möglichkeiten wissenschaftlicher<br />

Erkenntnis wie auch an <strong>der</strong> technischen Beherrschbarkeit komplexer Vorgänge<br />

wurde das Postulat <strong>der</strong> 'Übervorsichtigkeit' in risikoreichen Gebieten entwickelt. 377<br />

5.3. Der Atomenergiediskurs in den Umweltorganisationen<br />

In diesem Abschnitt werden die Prozesse <strong>der</strong> Meinungsbildung zur Atomenergie in den<br />

ausgewählten Organisationen des Natur- <strong>und</strong> Umweltschutzes verfolgt. Bei <strong>der</strong> Darstellung<br />

ergaben sich einige Probleme: Erstens spielten sich die Meinungsbildungsprozesse in den<br />

einzelnen Organisation zeitlich mehr o<strong>der</strong> weniger parallel ab, <strong>und</strong> zweitens kommunizierten<br />

die Organisationen miteinan<strong>der</strong>. Dadurch entstanden sowohl chronologische wie thematische<br />

Überschneidungen. Ich löste diese Probleme folgen<strong>der</strong>massen: Als Analyseebene<br />

wurden die einzelnen Organisationen gewählt, da sie eigenständige Kommunikationsgemeinschaften<br />

darstellten. Hierauf beurteilte ich zuerst die diskursiven Ereignisse <strong>der</strong> einzelnen<br />

Prozesse in Hinsicht auf ihre Bedeutung für den AKW-Diskurs aller Organisationen. Die<br />

wichtigsten Ereignisse stellte ich sodann, chronologisch geordnet, ins Zentrum einzelner<br />

Abschnitte. Dadurch konnten die Überschneidungen zwar nicht eliminiert, aber reduziert<br />

werden, ohne die kommunikativen Einheiten <strong>der</strong> Organisationen auseinan<strong>der</strong>zureissen. (Mit<br />

Ausnahme des SBN, <strong>der</strong> in zwei Teilen behandelt wird.) Die Ereignisse: die Aufnahme des<br />

AKW-Diskurses durch den Rheinaub<strong>und</strong> 1970 (Abschn. 5.3.1), die Einsprachen des SBN zu<br />

verschiedenen AKW-Projekten 1971 <strong>und</strong> 1972 (5.3.2), die öffentliche Stellungnahme <strong>der</strong> SGU<br />

im April 1973 (5.3.3), die öffentliche Stellungnahme des WWF im Juni 1973 (5.3.4) <strong>und</strong><br />

schliesslich das „energiepolitische Manifest“ des SBN <strong>von</strong> 1974 (5.3.5). Abschnitt 5.3.6 ergänzt<br />

das Bild durch die Darstellung <strong>von</strong> Umweltorganisationen mit regionalen Schwerpunkten,<br />

<strong>der</strong>en Aktivitäten aber nationale Ausstrahlung hatten. Die Abschnitte 5.3.1 bis 5.3.6<br />

behandeln die Zeit <strong>von</strong> 1969 bis 1974; <strong>der</strong> folgende Abschnitt (5.3.7) ist dann dem Auftreten<br />

aller untersuchten Umweltorganisationen im Schlüsseljahr 1975 gewidmet. Schliesslich fasse<br />

ich die wichtigsten Erkenntnisse nochmals zusammen (5.3.8).<br />

5.3.1. Die Zeitschrift „Natur <strong>und</strong> Mensch“ als Forum für die AKW-Kritik<br />

Atomkraftwerke waren ab 1969 wie<strong>der</strong> ein Thema in <strong>der</strong> Zeitschrift „Natur <strong>und</strong> Mensch“. In<br />

<strong>der</strong> vierten Nummer dieses Jahres finden sich zwei Beiträge <strong>von</strong> Jakob Zimmerli, in denen<br />

sich <strong>der</strong> vormalige Präsident <strong>der</strong> SBN-Sektion Aargau <strong>und</strong> damalige Aargauer Kantonsrat<br />

<strong>der</strong> EVP zu Atomkraftwerken <strong>und</strong> Naturschutz äusserte. Im Zentrum seiner Ausführungen<br />

stand die Kühlwasserproblematik, wie sie vom „Bericht Baldinger“ aufgeworfen worden<br />

war. „Müssen wir im Interesse des Naturschutzes auf diesen <strong>Fortschritt</strong> verzichten?“, fragte<br />

375 For<strong>der</strong>ung: z.B. „Österreichisches Ärztememorandum“, siehe Häsler, S. 128f, Vorwurf: z.B. Schumacher 1972,<br />

S. 251f. Das Argument <strong>der</strong> fehlenden Kompetenz wurde auch <strong>von</strong> Befürwortern verwendet: So wurde den<br />

Organisationen des Natur- <strong>und</strong> Umweltschutzes das Recht abgesprochen, sich überhaupt zur Atomenergie zu<br />

äussern. Siehe Abschn. 5.3.4 u. 5.3.5.<br />

376 Z.B. Schumacher 1972, S. 251; Ginsburg 1974, S. 211; SBN 1974, S. 13f.<br />

377 Z.B. durch den WWF: Panda, 3/1973, S. 9. Vgl. Abschn. 5.3.4.

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