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Abschied von Wachstum und Fortschritt - Technikgeschichte der ...

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Patrick Kupper: Umweltbewegung <strong>und</strong> Atomenergie ETH Zürich / <strong>Technikgeschichte</strong> / Preprint 2 / Seite 3<br />

1. Einleitung<br />

Im Dezember 1965 verlangte <strong>der</strong> Schweizerische B<strong>und</strong> für Naturschutz (SBN) in einer öffentlichen<br />

Stellungnahme, „direkt den Schritt zur Gewinnung <strong>von</strong> Atomenergie zu tun“. 1 Keine<br />

zehn Jahre später, im Sommer 1974, hiess es in einem Manifest desselben B<strong>und</strong>es für Naturschutz:<br />

„[Es kann] nur eine Lösung geben: Weniger Energieverbrauch statt weitere Atomkraftwerke.“<br />

2 Innert weniger als einem Jahrzehnt hatte <strong>der</strong> SBN in <strong>der</strong> Energiepolitik eine<br />

Kehrtwendung vollzogen: vom Promotor <strong>der</strong> Atomenergie zu <strong>der</strong>en Gegner. Der SBN war<br />

nur einer <strong>der</strong> Akteure in einem sich erstaunlich schnell entwickelnden Prozess, <strong>der</strong> die<br />

Atomenergie im Laufe <strong>der</strong> 70er Jahre zu einem heissumstrittenen Politikum werden liess,<br />

nachdem sie noch Ende <strong>der</strong> 60er Jahre <strong>von</strong> einem allseitigen Konsens getragen worden war.<br />

Fragestellung <strong>und</strong> Arbeitsthese 3<br />

Der angetönte dramatische Verlauf <strong>der</strong> Entwicklung wirft Fragen auf nach <strong>der</strong>en Hergang<br />

<strong>und</strong> Ursachen. Wie <strong>und</strong> warum entwickelte sich die vormals allseits akzeptierte Atomenergie<br />

binnen weniger Jahre zu einer <strong>der</strong> wichtigsten politischen Streitfragen? Was hatte sich in<br />

den Jahren um 1970 ereignet, das einen <strong>der</strong>art f<strong>und</strong>amentalen Wandel erklären könnte?<br />

Diese Fragestellung scheint mir in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Erstens zielt sie auf den<br />

Prozess des sozialen Wandels ab. Dieser lässt sich am besten entlang <strong>von</strong> Entwicklungen<br />

analysieren, in denen es zu Brüchen gekommen ist. Die Geschichte des Atomenergiediskurses<br />

ist daher ein gutes Untersuchungsobjekt, das eine Annäherung an die Prozesse erlaubt,<br />

die die neueste Schweizer Geschichte geprägt haben. Zweitens entwickelte sich <strong>der</strong> Atomenergiediskurs<br />

in wechselseitiger Abhängigkeit mit verschiedenen benachbarten Diskursfel<strong>der</strong>n.<br />

Beson<strong>der</strong>s eng war er mit dem Energie- <strong>und</strong> Umweltbereich verknüpft. Deshalb kann<br />

die Geschichte <strong>der</strong> Atomenergie als Fallbeispiel für die Entwicklung dieser umliegenden<br />

Bereiche studiert werden. Drittens handelt es sich bei <strong>der</strong> Atomenergie um eines jener Risiken,<br />

die durch mo<strong>der</strong>ne Produktionsformen erzeugt werden <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Beurteilungen nicht<br />

auf persönlichem Erleben, son<strong>der</strong>n auf vermitteltem Wissen basieren. Der gesellschaftliche<br />

Umgang mit solchen Risiken ist heute brisanter denn je zuvor, wie neben den Debatten um<br />

die Atomkraftwerke diejenigen um die Gentechnologie zeigen. Viertens schliesslich wird<br />

auch in gegenwärtigen Diskussionen immer wie<strong>der</strong> auf die Entwicklung <strong>der</strong> Atomenergiekontroverse<br />

Bezug genommen <strong>und</strong> aus <strong>der</strong>en Geschichte Schlüsse für die Gegenwart gezogen.<br />

Für diese Diskussionen kann die historische Analyse realistische Gr<strong>und</strong>lagen erarbeiten.<br />

Bei einem ersten Blick auf die Entwicklung <strong>der</strong> Atomenergiekontroverse springt die ungefähre<br />

zeitliche Koinzidenz des Auftretens des Wi<strong>der</strong>standes gegen die Atomkraftwerke mit<br />

<strong>der</strong>en Bauprogramm ins Auge. In <strong>der</strong> bisherigen Forschung dominiert denn auch die Interpretation,<br />

dass die Entstehung <strong>der</strong> antinuklearen Opposition eine Reaktion auf den Bau dieser<br />

Anlagen gewesen sei. Den Umstand, dass die Artikulation <strong>von</strong> Wi<strong>der</strong>ständen zeitlich<br />

hinter <strong>der</strong> AKW-Bautätigkeit herhinkte, hat <strong>der</strong> Soziologe Hanspeter Kriesi damit erklärt,<br />

dass sich diese nicht an den eigentlichen Atomanlagen, son<strong>der</strong>n an <strong>der</strong>en Kühltürmen entzündet<br />

habe. Die Kühltürme hätten die Gefahren <strong>der</strong> Atomenergie visualisiert; erst diese<br />

Transformation ins sinnlich Wahrnehmbare habe die negativen Reaktionen hervorgerufen. 4<br />

1 Stellungnahme des Naturschutzrates zur Energiepolitik, 11.12.1965, in: SN, 1/1966, S. 14.<br />

2 SBN 1974, S. 1.<br />

3 Hier geht es vorerst nur um die Leitfragen <strong>der</strong> Arbeit. In Kap. 2 wird die Fragestellung dann im Rahmen <strong>von</strong><br />

theoretischen <strong>und</strong> methodischen Vorüberlegungen noch ausdifferenziert.<br />

4 Kriesi 1982. Vgl. auch Gilg/Hablützel, S. 855, Walter 1996, S. 192.

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