Abschied von Wachstum und Fortschritt - Technikgeschichte der ...
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Patrick Kupper: Umweltbewegung <strong>und</strong> Atomenergie ETH Zürich / <strong>Technikgeschichte</strong> / Preprint 2 / Seite 17<br />
gegen fehlten Ausführungen zu den radioaktiven Abfällen, obwohl diesem Problembereich<br />
noch in <strong>der</strong> Botschaft zum Verfassungsartikel <strong>von</strong> 1957 grosse Bedeutung beigemessen worden<br />
war. 59<br />
Im Parlament waren zwei Punkte umstritten: die wirtschaftsrechtliche Stellung <strong>der</strong> Atomwirtschaft<br />
<strong>und</strong> die haftpflichtrechtlichen Bestimmungen. Der Umfang <strong>der</strong> Haftung des Inhabers<br />
einer Atomanlage wurde gegen Wi<strong>der</strong>stände aus dem sozialdemokratischen Lager auf<br />
40 Millionen Franken beschränkt. Als rechtliche Form <strong>der</strong> Atomwirtschaft wurde eine privatwirtschaftliche<br />
Lösung gewählt: Dem B<strong>und</strong> gewährte das Gesetz bloss ein polizeiliches<br />
Aufsichtsrecht; d.h., Atomanlagen bedurften einer Bewilligung des B<strong>und</strong>es, die dieser aber<br />
erteilen musste, sofern die im Gesetz definierten Anfor<strong>der</strong>ungen erfüllt waren. Die Eidgenössischen<br />
Räte verabschiedeten (bewusst) ein eigentliches Atomenergieför<strong>der</strong>ungsgesetz,<br />
das Ruedi Epple wie folgt bewertet hat:<br />
„Der Bau <strong>und</strong> Betrieb <strong>von</strong> AKW war somit zu einem verhältnismässig staats-, vor allem<br />
aber demokratiefreien Raum geworden. Mit staatlicher Unterstützung, aber <strong>von</strong> demokratischer<br />
Kontrolle unbehelligt <strong>und</strong> lediglich an vorwiegend sicherheitstechnische<br />
Auflagen geb<strong>und</strong>en, konnte die Atomwirtschaft ihre Pläne schmieden <strong>und</strong> ausführen.“<br />
60<br />
Nachdem die Referendumsfrist ungenutzt abgelaufen war, trat das Atomgesetz am 1. Juli<br />
1960 in Kraft. 61<br />
Zur Wahrnehmung <strong>der</strong> Pflichten, die ihm das Atomgesetz übertragen hatte, baute <strong>der</strong> B<strong>und</strong><br />
seine Bürokratie aus <strong>und</strong> entwickelte in den 60er Jahren ein mehrstufiges Bewilligungsverfahren<br />
für Atomkraftwerke. 62 Zusätzlich zu den Bewilligungen des B<strong>und</strong>es brauchte eine<br />
Atomanlage die baupolizeiliche Baubewilligung <strong>der</strong> Gemeinde, sowie die Konzession zur<br />
Wassernutzung des Kantons.<br />
Als die Atomenergie ab Ende <strong>der</strong> 60er Jahre kritisiert wurde, offenbarten die geschaffenen<br />
institutionellen Regelungen mehrere Schwachstellen. Einerseits geriet die für den fö<strong>der</strong>alistischen<br />
Aufbau <strong>der</strong> Schweiz ungewohnt zentralistische Entscheidungsstruktur in Konflikt mit<br />
regionalen Begehren nach Mitsprache, an<strong>der</strong>erseits lieferte die unklare Kompetenzabgrenzung<br />
zwischen dem B<strong>und</strong> auf <strong>der</strong> einen <strong>und</strong> den Kantonen <strong>und</strong> Gemeinden auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Seite <strong>der</strong> Opposition Ansatzpunkte für den Wi<strong>der</strong>stand mit juristischen Mitteln. Bezeichnen<strong>der</strong>weise<br />
begannen gleichzeitig mit <strong>der</strong> Kontroverse um die Atomkraftwerke die ersten<br />
Diskussionen um eine Revision des Atomgesetzes. 63<br />
Offensichtlich rechneten die Gesetzgeber in den 50er Jahren nicht mit dem Konfliktfall. Dies<br />
wie auch die Geringschätzung o<strong>der</strong> gänzliche Ignorierung <strong>der</strong> Gefahren <strong>der</strong> Atomenergie<br />
lässt sich mit dem zeitgenössischen Leitbild des „Atomzeitalters“ erklären.<br />
3.1.3. Das Leitbild des „Atomzeitalters“<br />
Der Mythos des Atomzeitalters entstand am Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Atombombenabwürfe<br />
auf Japan <strong>und</strong> die amerikanischen Regierungserklärungen zur neuen Technologie<br />
bereiteten dem Mythos den Boden. Wie Ladislas Mysyrowicz aufzeigt, wurden diese<br />
59 Die Botschaft zum Verfassungsartikel führte aus: „Möglicherweise wird die Beantwortung <strong>der</strong> Frage, ob die<br />
Atomasche in technisch einwandfreier Weise unschädlich gemacht o<strong>der</strong> gar nutzbringend verwertet werden<br />
kann, über die Art <strong>der</strong> künftigen Anwendung <strong>der</strong> Atomenergie entscheiden.“ Zit. nach Rausch, S. 7.<br />
60 Epple 1979, S. 263.<br />
61 Zu Entstehung <strong>und</strong> Inhalt des Atomgesetzes: Energiewirtschaft, S.174-182; Favez, S. 119-135; Kriesi 1982, S.<br />
13-16; Rausch, S. 1-16; Sarasin, S. 19-22; SGK, S. 59-69.<br />
62 Zur staatlichen Bürokratie: Energiewirtschaft, S. 53-56; SGK, S. 59-69. Siehe auch Hug 1994, S. 168f. Zum Bewilligungsverfahren:<br />
Kriesi 1982, S. 19-22, Rausch S. 45-65. Vgl. auch Aubert, S. 152-171.<br />
63 Auf diese Aspekte wird in Abschn. 5.1.1 ausführlich eingegangen.