Buch Magazin Oktober 2013
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SPEZIAL BRASILIEN<br />
Brasilianer auch charakteristische<br />
Züge, die man überall, in jeder<br />
brasilianischen Familie finden<br />
kann: die Gastfreundschaft, das<br />
fröhliche und feierliche Temperament,<br />
die Offenheit und Empfangsfreude<br />
von Fremden. Das<br />
sind Charakteristika, die in allen<br />
sozialen Klassen gefunden werden<br />
können, vom Norden bis in<br />
den Süden, in den abgelegensten<br />
Gebieten des Landes.<br />
Dies ist Ihr erster Roman.<br />
Wollten Sie schon immer einen<br />
Roman schreiben?<br />
„Der Hochzeitsreis“, in Brasilien<br />
in 2008 erschienen, ist mein erster<br />
Roman. Aber davor habe ich bereits<br />
zwei Bücher mit Gedichten<br />
und poetischen Erzählungen veröffentlicht.<br />
Ich hab es schon<br />
immer geliebt, zu schreiben. Mit<br />
16 Jahren bekam ich meinen<br />
ersten Preis bei einem Wettbewerb<br />
in der Schule, der von der<br />
Organisation der Amerikanischen<br />
Staaten (OAS) veranstaltet wurde.<br />
Zwei Jahre später, in einem weiteren<br />
Wettbewerb, veranstaltet von<br />
„Experiment in International<br />
Living“, erhielt ich den ersten<br />
Platz unter 1435 Mitbewerbern<br />
und bekam eine Reise in die USA.<br />
Als ich aus der diplomatischen<br />
Karriere ausstieg, begann ich<br />
Drehbücher für institutionelle<br />
Filme, Dokumentationen, Multimedien<br />
und TV-Werbespots zu<br />
schreiben. Dann widmete ich<br />
mich dem Theater. Und schlussendlich<br />
kam ich zum Roman.<br />
Letztes Jahr veröffentlichte ich<br />
meinen zweiten Roman, „Doce<br />
Gabito“, der eine Hommage an<br />
den Schriftsteller Gabriel García<br />
Márquez ist. Und zurzeit schreibe<br />
ich an einer dritten Geschichte.<br />
Und wie unterscheidet sich das<br />
Schreiben eines Romans vom<br />
Schreiben eines Drehbuchs?<br />
Es ist komplett anders. Die Erfahrung<br />
am Theater war extrem<br />
wichtig für mich, weil sie mir<br />
Disziplin beibrachte. Wenn ich ein<br />
Theaterstück schreibe, dann muss<br />
ich an die Produktionskosten,<br />
und ob es auf der Bühne umgesetzt<br />
werden kann oder nicht denken.<br />
Die Kreativität muss in diesen<br />
Begrenzungen arbeiten. Im<br />
Theater haben die Dialoge eine<br />
viel wichtigere Stellung. Im<br />
Roman habe ich mehr Freiheit<br />
beim Schaffen.<br />
Was bevorzugen Sie?<br />
Romane zu schreiben bringt mir<br />
mehr Spaß.<br />
Nachdem ich Ihr <strong>Buch</strong> gelesen<br />
habe, wollte ich einfach nur<br />
noch meine Familie anrufen und<br />
hören, ob es allen gut geht. War<br />
das die Botschaft in Ihrem<br />
Roman?<br />
Ihre Aussage erfreut mich sehr,<br />
aber ich muss zugeben, dass ich<br />
zu keiner Zeit beabsichtigt habe,<br />
eine Botschaft an den Leser zu<br />
übermitteln. „Der Hochzeitsreis“<br />
ist einfach eine sehr persönliche<br />
Reise, ein sehr intimes Bedürfnis<br />
danach, in die Vergangenheit<br />
zurückzukehren. Vieles von dem,<br />
was da geschrieben steht, wurde<br />
von mir gelebt und erfahren.<br />
Auch ist es meine Art, die Welt zu<br />
sehen und zu interpretieren.<br />
Einfach nur das.<br />
In jeder Kultur, Rasse oder<br />
Religion ist die Familie die Basis.<br />
Es ist mit ihr, dass wir unsere<br />
Möglichkeiten und unsere<br />
Grenzen erfahren. Das liebevolle<br />
Feedback, das ich von den Lesern<br />
bekomme, sowohl in Brasilien wie<br />
auch im Ausland, bestärkt mich<br />
nur in meiner Überzeugung:<br />
„Familie sind wir alle.“ Und auch<br />
in dieser unseren riesigen und<br />
komplexen planetären Familie<br />
sind es die Anteilnahme, die<br />
Zuneigung und der Respekt für<br />
den anderen, die uns leiten sollen.<br />
So utopisch das auch scheinen<br />
mag.<br />
Werden wir Sie auf der Frankfurter<br />
<strong>Buch</strong>messe sehen?<br />
Mein Name steht nicht auf der<br />
Liste der von der brasilianischen<br />
Regierung ausgewählten Autoren,<br />
die bei diesem bemerkenswerten<br />
Ereignis, das die Frankfurter<br />
<strong>Buch</strong>messe ist, dabei sein werden.<br />
Aber, zweifelsohne, wird Brasilien<br />
mit den anwesenden Autoren<br />
sehr gut vertreten sein.<br />
Vielen Dank.<br />
Interview: Sandra Kielmann<br />
DREIHUNDERT<br />
BRÜCKEN<br />
Im Jahre 2003 feiert St. Petersburg<br />
sein dreihundertjähriges<br />
Jubiläum,<br />
überall wird renoviert<br />
und gebaut,<br />
die Stadt brodelt<br />
vor Geschäftigkeit.<br />
Der<br />
Tschetschene<br />
Ruslan wird als<br />
billige<br />
Arbeitskraft aus<br />
einem Flüchtlingslager hierhergebracht<br />
und nutzt die Chance,<br />
seine leibliche russische Mutter zu<br />
besuchen, die nach seiner Geburt<br />
verschwand. Doch sie will nichts<br />
von ihm wissen, die Vergangenheit<br />
soll ihr neues Leben, ihre<br />
neue Familie nicht zerstören.<br />
Eine ganz andere Geschichte hat<br />
Andrei, den Sohn eines brasilianischen<br />
Vaters, der sich längst wieder<br />
nach Brasilien abgesetzt hat,<br />
nach St. Petersburg geführt: Er<br />
wurde aus Sibirien rekrutiert, weil<br />
sein Stiefvater sich weigerte, ihn<br />
vom Militärdienst freizukaufen...<br />
Nachts in St. Petersburg treffen<br />
Andrei und Ruslan aufeinander,<br />
nachts in St. Petersburg verlieren<br />
sie einander wieder, und beider<br />
Wege führen in den Untergang.<br />
Autor: Bernardo Carvalho<br />
224 Seiten, gebunden<br />
Luchterhand<br />
Euro 19,99 (D), Euro 20,60 (A)<br />
sFr 28,50 (UVP)<br />
ISBN 978-3-630-87336-7<br />
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