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Buch Magazin Oktober 2013

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INTERVIEW<br />

Beziehung zu Rio de Janeiro. Ich<br />

bin dort geboren, habe über die<br />

Hälfte meines Lebens dort gelebt.<br />

Fast mein ganzes erwachsenes<br />

Leben habe ich dort verbracht.<br />

Dies ist das dritte Mal, dass ich<br />

Rio verlasse, um im Ausland zu<br />

leben, aber ich kehre immer wieder<br />

zurück. Rio de Janeiro ist das<br />

Maß aller Dinge für mich.<br />

Sind alle Geschichten fiktiv oder<br />

sind es Geschehnisse, die auf<br />

reale Situationen aufbauen?<br />

Alle Geschichten sind fiktiv, was<br />

bedeutet, dass sie real sind.<br />

Rafael ist ein Protagonist, der<br />

auf die eine oder andere Weise<br />

in fast allen Geschichten<br />

erscheint. Warum?<br />

Er bewegt sich zwischen den<br />

Geschichten und den Frauen. Er<br />

fungiert wie ein Bindeglied zwischen<br />

den Teilen, hilft so, aus den<br />

verschiedenen Teilen einen Roman<br />

zu machen und nicht nur eine<br />

Sammlung an Kurzgeschichten.<br />

Das war genau die Idee, ein großes<br />

Ganzes zu schaffen. Zur gleichen<br />

Zeit ist er fast eine Geistererscheinung<br />

(oder lieber eine Art blinder<br />

Passagier) – das Gegenstück zu der<br />

gut definierten Subjektivität der<br />

weiblichen Protagonisten. Er ist<br />

eine Art Produkt ihrer Fantasie.<br />

Hier in Deutschland trifft man<br />

oft auf das Vorurteil, dass kein<br />

Mann eine Frau verstehen kann.<br />

Was halten Sie davon?<br />

Ich denke, dass jeder Schriftsteller<br />

seine Protagonisten verstehen<br />

kann und sollte, sonst ist er kein<br />

Schriftsteller. Die Weltliteratur ist<br />

voll von großen männlichen<br />

Protagonisten, die von Frauen<br />

geschaffen worden sind, und von<br />

weiblichen Protagonisten, die von<br />

Männern kreiert wurden. Für<br />

mich ist es nur ein Euphemismus<br />

dafür, dass ein Mann Frauen nicht<br />

verstehen will, wenn er sagt, dass<br />

er sie nicht versteht.<br />

Bitte vervollständigen Sie den<br />

Satz: Eine Frau heutzutage ist...<br />

… alles, was sie sein möchte.<br />

Wenn Sie ein <strong>Buch</strong> über 16<br />

Männer in Rio schreiben<br />

würden, was wäre der größte<br />

Unterschied?<br />

Sechzehn Frauen, eine Stadt: eine<br />

unwiderstehliche Liebeserklärung an<br />

die Schönheit von Rio! Renata,<br />

Helena, Cíntia, Graziela, Rosana…<br />

Sie haben Träume, Affären, die eine<br />

oder andere kleine Meise, und alle<br />

wohnen sie in Rio.<br />

Sechzehn Frauen zwischen 6 und 93<br />

Jahren feiern in diesem bunten<br />

Panorama den Zauber ihrer Stadt:<br />

Jede von ihnen lässt Rafael Cardoso<br />

mit ganz eigener Stimme von ihrem<br />

Viertel erzählen – von der Copacabana<br />

über Ipanema über das Zentrum<br />

zu den Vororten und wieder<br />

zurück.<br />

Während Helena mit einem Dealer<br />

durchbrennt, jubelt Renata ihrem<br />

untreuen Mann ein Baby unter,<br />

während Jamilly als Drogenkurierin<br />

anheuert, stürzt Bel in eine tiefe<br />

Krise, als sie das erste graue Haar an<br />

sich entdeckt. Und fast alle Frauen<br />

kennen einen gewissen Rafael.<br />

Eine opulente Hommage an Rio, das<br />

erst seine Frauen zu dem machen,<br />

was es ist: eine der aufregendsten<br />

Metropolen der Welt.<br />

Autor<br />

Rafael Cardoso lebt derzeit in Berlin,<br />

wo er an einem <strong>Buch</strong> über seine<br />

Familie arbeitet. Sein Urgroßvater<br />

war der Kunstsammler, Bankier und<br />

Politiker Hugo Simon, der mit Albert<br />

Einstein und Thomas Mann befreundet<br />

war und Gemälde von Oskar<br />

Kokoschka, Max Pechstein und<br />

Edvard Munch sammelte. Cardoso,<br />

geboren 1964 in Rio, wuchs in den<br />

USA auf. Er ist Autor und Kunsthistoriker<br />

und hat bereits mehrere<br />

Bücher veröffentlicht.<br />

320 Seiten, gebunden<br />

S. Fischer<br />

Euro 19,99 (D), Euro 20,60 (A)<br />

sFr 28,90 (UVP)<br />

ISBN 978-3-10-010850-0<br />

Ich wüsste nicht, wie man dieses<br />

<strong>Buch</strong> schreibt.<br />

Sie haben bereits einer Zeitlang<br />

in Deutschland verbracht.<br />

Inwiefern unterscheiden sich die<br />

beiden Länder?<br />

In allem! (lacht) Deutschland und<br />

Brasilien sind grundsätzlich<br />

unterschiedliche Länder. Daher<br />

kommt vielleicht die Anziehungskraft<br />

zwischen Brasilianern und<br />

Deutschen.<br />

Wie muss der Ort sein, an dem<br />

Sie schreiben?<br />

Er muss ruhig sein und Platz<br />

haben, um von einer Seite zur<br />

anderen zu laufen.<br />

Welche sind die Schriftsteller,<br />

die Sie am meisten bewundern?<br />

Das sind so viele! Proust,<br />

Melville, Kafka, Machado de<br />

Assis. Es gibt viele wunderbare<br />

brasilianische Autoren, die sehr<br />

wenig bekannt sind außerhalb<br />

Brasiliens: Lima Barreto, Lúcio<br />

Cardoso, Raduan Nassar. Ich liebe<br />

João do Rio, der in Brasilien so<br />

was ist wie Joseph Roth für die<br />

Deutschen.<br />

Bevorzugen Sie es gedruckte<br />

Bücher oder eBooks zu lesen?<br />

Gedruckte Bücher! Ich bin fanatisch<br />

nach Papier und Tinte.<br />

Ein gutes <strong>Buch</strong>, das Sie vor<br />

Kurzem gelesen haben, ist...<br />

...“Die Welt von gestern” von<br />

Stefan Zweig.<br />

Worauf können Ihre deutschen<br />

Leser sich in Zukunft von Ihnen<br />

freuen?<br />

Ich schreibe gerade ein neues<br />

<strong>Buch</strong> über die Geschichte der<br />

Familie meines Vaters, eine<br />

Familiensaga, die in Berlin in den<br />

30er-Jahren anfängt und im<br />

Brasilien der 70er endet. Es ist<br />

eine faszinierende Geschichte, die<br />

auf realen Begebenheiten basiert.<br />

Vielen Dank.<br />

Interview: Maik Kade<br />

BUCH-MAGAZIN | 97

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