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REISE & KULTUR<br />
Wie alles<br />
begann!<br />
• 1968 machten<br />
die Beatles einen<br />
Meditations-Kurs in<br />
Rishikesh (225 km<br />
nördlich Neu-Delhis).<br />
Quasi über Nacht<br />
wurde Indien so zum<br />
Sehnsuchtsziel für<br />
Tausende Aussteiger<br />
und Sinnsucher.<br />
• Vor allem Goas<br />
mehr als 100 km<br />
lange Strände zogen<br />
sie magisch an –<br />
auch weil man dort<br />
gratis übernachten<br />
und feiern konnte.<br />
tieren in Goa seither Rosenkranz und Räucherstäbchen,<br />
Madonna und Mala (indische Gebetskette),<br />
Hippies und Henna-Händler friedlich nebeneinander.<br />
Kein Wunder, dass viele Blumenkinder großen<br />
Gefallen am Sandkasten an Goas Stränden fanden<br />
und blieben. So wie jener Kalifornier, den alle nur<br />
Eightfinger (Achtfinger) nennen, weil er durch einen<br />
Unfall zwei verlor. Dieses Jahr wurde er 80,<br />
und alle kamen nach Anjuna, weil es ein tolles Familienfest<br />
gab. Auch Jungle, auf Deutsch „Dschungel“,<br />
hat mitgefeiert. Jener Goa-weit bekannte italienische<br />
Bildhauer, der vor 40 Jahren als<br />
jugendlicher Rucksack-Tourist mit anarchistischer<br />
Grandezza seinen Reisepass im Meer versenkte.<br />
Der große, programmatische Wurf blieb allerdings<br />
nicht ungesühnt, denn als sich Jungle später<br />
in eine Russin verliebte, wurde er wieder bürgerlich<br />
und musste sich vor der Hochzeit einen neuen<br />
Pass organisieren. So viel zu den Utopien von einst.<br />
Den Flower-Power-Kindern der ersten Generation<br />
ist längst die zweite und dritte Welle von Rucksack-Reisenden<br />
und Rentnern gefolgt, von Kurzund<br />
Langzeit-Urlaubern, von Freaks und Faulenzern.<br />
Auf der Suche nach einem sonnigen, preiswerten<br />
Platz abseits des Hauptreise-Stroms erschlossen sie<br />
feinsandige Strände und aufgeschlossene Einheimische<br />
für den Fremdenverkehr und ebneten damit<br />
dem verachteten Massentourismus den Weg – ebenso<br />
ungewollt wie unausweichlich.<br />
Heute ist Indiens Mini-Bundesland, das in etwa<br />
die Größe von Saarland, Bremen und Hamburg zusammen<br />
besitzt, ein Biotop für Winterflüchtlinge jeg-<br />
Strand als Streichelzoo:<br />
Goas Kühe suchen auch<br />
an Vagator Beach (bei<br />
Anjuna) nach Essbarem.<br />
lichen Alters und jeglicher Couleur. Wer dem ursprünglichen<br />
Goa-Gefühl nachspüren will, sollte sich<br />
im äußersten Norden oder Süden einquartieren.<br />
Auf den digitalen Anschluss zum Alltag muss man<br />
dabei selbst in entlegenen Buchten nicht verzichten.<br />
Unter jeder dritten Palme haben Goaner ein<br />
Internet-Café improvisiert, das sich jedoch oft so<br />
träge gebärdet wie eine bekiffte Schnecke, weil immer<br />
wieder die Stromversorgung zusammenbricht.<br />
Minimalistisch reduziert sind auch die Hütten,<br />
die man sich für ein paar Euro mieten kann: vier<br />
zusammengetackerte Bambuswände auf einem mit<br />
Bastmatten abgedeckten Sandboden, ein Bett mit<br />
Moskitonetz, eine nackte Glühbirne. Draußen eine<br />
Gemeinschaftstoilette, für die sich jeder selbst das<br />
Toilettenpapier kauft, sowie eine Hängematte. Mehr<br />
gibt es nicht – und mehr braucht man nicht, um<br />
das Leben wieder unkompliziert zu <strong>finden</strong>.<br />
Aussteiger-Visionen keimen da von<br />
ganz allein auf und werfen mit jedem<br />
Sonnenuntergang eine farbenprächtigere<br />
Blüte ab. Und wer in<br />
einem solchen Ambiente überhaupt<br />
keine Vision hat, war vermutlich nie<br />
jung. Was man von Lars (61) wahrlich nicht behaupten<br />
kann. Der Schwede, dessen Wikinger-Mähne von<br />
der jahrzehntelangen Tropensonne so ausgebleicht<br />
ist, dass sich die grauen Strähnen im Strohblond<br />
verlieren, schwört auf Qigong.<br />
Er lebt seit den Siebzigerjahren in Indien und verdient<br />
seinen Lebensunterhalt inzwischen damit,<br />
dass er anderen bei der Suche nach Erleuchtung<br />
hilft und sie in das Wechselspiel aus Yin und Yang<br />
einführt. Am Strand von Agonda (40 km südlich<br />
von Panaji), wo sich der Schwede die meiste Zeit<br />
aufhält, haben ein paar Esoterik-Hippies mit bunten<br />
Flaggen ihr Terrain abgesteckt. Jeden Morgen<br />
meditieren sie sich ihrem Seelenheil und dem Weltfrieden<br />
entgegen. An den Palmen pappen Flugblätter,<br />
die einen lockenköpfigen Guru in einer so verschraubten<br />
Yoga-Stellung zeigen, dass dem<br />
untrainierten Betrachter schon beim bloßen Hingucken<br />
ein paar Bandscheiben rausspringen.<br />
An diesem frühen Morgen steht der indische Meister<br />
leibhaftig im Sand: einbeinig, das andere Bein<br />
angewinkelt, die Hände über dem Kopf aneinandergelegt,<br />
die Augen geschlossen. In den Mienen<br />
seiner Anhänger, die sich mit wackeligem Erfolg<br />
um Nachahmung bemühen, halten sich Andacht<br />
und Anstrengung die Waage. Nachdem sie ihre<br />
Glieder sortiert haben, löffeln sie im Yoga-Café nebenan<br />
Fruchtsalat. Ab und zu spaziert eine zierliche<br />
36 1/ 2013