Zur Lehre vom Urkundenbeweise
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58 Prof. Dr. Ä. S. Schnitze: <strong>Zur</strong> <strong>Lehre</strong> <strong>vom</strong> ljrkundenbe,veise.<br />
nothwendiges Erforderniss der dispositiven Urkunden zu erklären<br />
und so wenigstens ein formelles Kriterium zu retten, an welches<br />
.die Piäsumtion der stattgehabten Abgabe der Erklärung geknüpft<br />
werden, welches die „perfecte Erklärung" <strong>vom</strong> blossen .„Entr<br />
wurfe" sinnlich wahrnehmbar scheiden könnte; eine Annahme,<br />
die jedoch, wie unten gezeigt werden soll, schon nach gemeinem<br />
Recht des quellenniässigen Anhaltes entbehrte und mit dem<br />
heutigen Recht ebenfalls in Widerspruch steht.<br />
e) Das heutige Recht.<br />
Kehren wir nunmehr zu der Frage nach der Beweiskraft<br />
der Urkunde im heutigen Recht zurück, so ist vor Allem auch<br />
hier der Grundsatz des freien Beweises anzuerkennen. Ich<br />
wähle diese Bezeichnung, weil die übliche: „Grundsatz der<br />
freien Beweiswürdigung" zu eng ist. Er greift, wie an anderem<br />
Ort dargelegt ist, über die Würdigung der Beweise weit<br />
hinaus, bedeutet vielmehr, dass der processualische Beweis überhaupt,<br />
soweit nicht ausnahmsweise positive Beweisregeln gesetzlich<br />
sanetionirt sind, so gut wie jede' andere Beweis lediglich<br />
den Grundsätzen der Erkcnntnisslehre untersteht. Insbesondere<br />
bedeutet er einmal, dass jedes Beweismittel und jeder<br />
Beweisgrund, welche in jedem anderen Verhält,Liss, in der<br />
Wissenschaft und im gewöhnlichen Leben dem Thatsachen.<br />
beweise dienen können, auch im Processe zulässig ist 110); und<br />
sodann, dass alle Beweismittel und Beweisgründe mit der obigen<br />
Massgabe lediglich nach ihrer erkenntnisstheoretischen, d. h.<br />
logischen Bedeutung zu prüfen und zu würdigen sind. Dass in<br />
diesem System für jene geheimnissvolle „Kraft" des Siegels<br />
kein Raum ist, ergiebt sich von selbst.<br />
Fragen wir von diesem Gesichtspunkte aus nach der Beweisbedeutung<br />
der Urkunde, so zeigt sich, dass es keineswegs<br />
etwa eine Besonderheit des römischen und der germanischen<br />
Stammesrechte war, dass die Privaturkunde für sich selbst nicht<br />
119)<br />
Anders Heusler, a. a. 0. 5.225, welcher auch für den heutigen<br />
Procese nur drei Beweismittel und dementsprechend nur drei Beweisgründe als<br />
<strong>vom</strong> Gesetz zugelassen anerkennt, überdies mit Einschluss des Parteieides,<br />
welcher in seiner heutigen Gestalt keines von beiden, sondern ein Mittel formeller<br />
Feststellung ist:<br />
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