DAS ARGUMENT - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Zur Frage des Konservativismus 827<br />
pseudo-strategische Perspektive gegenüber dem Faschismus als verhängnisvoll<br />
für die Arbeiterbewegung erwiesen hat.<br />
Kühnl selbst hält die westlichen Industriegesellschaften nicht für<br />
totalitär, aber gerade deshalb muß nach seiner Auffassung mit der<br />
Drohung des Faschismus nach wie vor gerechnet werden: Konstellationen<br />
sind denkbar, in denen Faschismus gebraucht wird. Wie u. a.<br />
auch Abendroth 1 ® deduziert er, daß die Widersprüche des Spätkapitalismus<br />
Tendenzen erzeugen werden, durch die die „Möglichkeit des<br />
Faschismus zur Wirklichkeit werden kann 20 ".<br />
Diese Argumentation ist abgestellt auf Zwangsläufigkeiten in der<br />
Entwicklung des (staatsmonopolistischen) Kapitalismus, die sich<br />
monokausal durchsetzen. Die dadurch möglich werdende Antizipation<br />
des Faschismus wird dann als Motivationsfaktor für eine die abhängig<br />
arbeitende Klasse mobilisierende Gegenstrategie verwendet:<br />
„Das erste Ziel ist die Verteidigung und Wiederherstellung funktionierender<br />
Formen der Öffentlichkeit von politischen und gesellschaftlichen<br />
Entscheidungen in der parlamentarischen Demokratie; das<br />
nächste Ziel wäre, die monopolkapitalistischen Produktionsverhältnisse<br />
durch transparente sozialistische Produktionsverhältnisse zu ,<br />
ersetzen 21 ."<br />
Solche strategischen Überlegungen erscheinen (mir jedenfalls)<br />
merkwürdig mechanisch-linear, mehr auf analogischem Denken beruhende<br />
Forderungen denn aus der theoretischen Analyse bezogene<br />
Handlungsanweisungen. Wie ein erratischer Block versperrt die stark<br />
ökonomistisch-deterministisch bestimmte <strong>Theorie</strong> des Spätkapitalismus<br />
die Einsicht in die Möglichkeiten wirklich (und nicht nur dem<br />
Anspruch nach) kritisch dialektischer Fragen und Antworten auf die<br />
Entwicklungstendenzen des Kapitalismus einerseits und die in ihm<br />
(vielleicht schon) angelegten punktuellen Vorwegnahmen der sozialistischen<br />
Gesellschaft andererseits. Der strategische Ansatzpunkt wäre<br />
dann die denk- und praxismöglich gewordene Antizipation der nachbürgerlichen<br />
Gesellschaft.<br />
Ich möchte dies mit folgenden Überlegungen verdeutlichen: Die<br />
Unterscheidung zwischen Industriegesellschaft und kapitalistischer<br />
Produktionsweise, die Winckler bei mir als theoretische Schwäche<br />
kritisiert, hat nicht nur ihren ausweisbaren analytischen Grund. Aus<br />
der Trennung zwischen den (ständig sich verändernden) Organisationsformen<br />
der industriellen Gesellschaft, wie sie bedingt werden<br />
durch den industriell-technologischen Produktionsprozeß (und den<br />
von ihm hervorgebrachten sozialen und politischen Implikaten)<br />
einerseits und den der kapitalistischen Produktionsweise respektive<br />
19 Wolfgang Abendroth: Das Problem der sozialen Funktion und der<br />
sozialen Voraussetzungen des Faschismus, in: Das Argument 58, 12. Jg.<br />
1970, H. 4—6.<br />
20 Vgl. Kühnl, Formen bürgerlicher Herrschaft, a.a.O., S. 160 ff., Zitat:<br />
S. 166; ders., „Linke" Totalitarismusversionen, a.a.O., S. 116; Abendroth,<br />
a.a.O., S. 257.<br />
21 Abendroth, a.a.O., S. 257.