DAS ARGUMENT - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Gibt es einen jugoslawischen Sozialismus? 763<br />
gesellschaftliche Mehrprodukt aus, in der Beseitigung zentraler und<br />
verbindlicher Planung und Lenkung der sozioökonomischen Entwicklungsprozesse,<br />
in der unbegründeten Gleichsetzung von Dezentralisierung<br />
und Demokratisierung (122). Der unzulässigen Identifizierung<br />
von Gruppenselbstverwaltung und gesellschaftlicher Selbstverwaltung<br />
in der jugoslawischen sozialistischen <strong>Theorie</strong> entspricht<br />
die von Gruppeneigentum und gesellschaftlichem Eigentum (125).<br />
Entgegen der ideologischen und formalrechtlichen Version befinden<br />
sich die jugoslawischen Betriebe faktisch im Gruppeneigentum. „Die<br />
Gefahr einer Beschränkung der gesellschaftlichen Selbstverwaltung<br />
auf die Gruppenselbstverwaltung gründet sich auf die faktische Behandlung<br />
des Gesellschaftseigentums als Gruppeneigentum... Was<br />
ist das völlige Abschließen der einzelnen selbstverwalteten Gruppen<br />
— was Kader und Verteilung anlangt — im Verhältnis zur<br />
Gesellschaft anderes als die Monopolisierung eines Teils des Gesellschaftseigentums?"<br />
(126)<br />
Stojanovié bezeichnet Ideologie und Realität der Gruppenselbstverwaltung<br />
als „Anarcholiberalismus". „Sobald wir den Begriff<br />
Kapitalist mit dem Begriff Selbstverwaltungsgruppe vertauschen,<br />
drängt sich uns unvermeidlich die Analogie zwischen dem .sozialistischen'<br />
Anarcholiberalismus und der Ideologie des liberalen Kapitalismus<br />
auf. Jenes Verhalten mancher selbstverwalteter Gruppen, das<br />
vom Anarcholiberalismus verteidigt wird, erinnert stark an die Verhältnisse<br />
im sogenannten ,laissez-faire' Kapitalismus" (128). Stojanoviés<br />
Hinweis auf die übliche Diffamierung genuin marxistischer<br />
Positionen als „verborgenen Etatismus" deutet die Restriktionen an,<br />
denen solche Kritik in Jugoslawien unterliegt.<br />
Den Ansatz zu zumindest einer Teilerklärung der Ursachen der<br />
anarchosyndikalistischen Entwicklung in Jugoslawien liefert Stojanovic<br />
mit der Hypothese, die überkommene etatistische Oligarchie<br />
brauche die latent anarchischen Tendenzen der Gruppenselbstverwaltung,<br />
um sich mit der eigenen Funktion integrativer Intervention<br />
unentbehrlich zu machen und so zu legitimieren (130). Schließlich bezeichnet<br />
und kritisiert der Verfasser eindeutig die aus der völligen<br />
Freisetzung der Ware-Geld-Beziehung resultierenden Verhaltensweisen,<br />
Einstellungen und Normen: „Wenn das ganze Leben auf der<br />
Jagd nach Gewinn und auf gegenseitiger Konkurrenz beruhen würde,<br />
dann hätte eine solche Gesellschaft, auch wenn sie sich als selbstverwaltet<br />
bezeichnet, nicht das Recht, sich auf Marx zu berufen. Besäße<br />
sie dann denn nicht eben jene Hierarchie der Werte, die Marx<br />
an der bürgerlichen Gesellschaft so scharf kritisiert hat? Ein solcher<br />
Mensch würde sich in keinem entscheidenden Punkt von Marxens<br />
homo duplex unterscheiden: der egoistische einzelne und die egoistische<br />
Gruppe auf der einen, der abstrakte Bürger auf der anderen<br />
Seite. Es wäre dann nebensächlich, wenn anstelle der Kapitalisten<br />
selbstverwaltete Gruppen existierten, die sich wie ,kollektive Kapitalisten'<br />
verhielten" (132). Es liegt auf der Hand, daß Stojanovié den<br />
Konjunktiv benutzt und den Infinitiv meint. Seine Kritik der sozioökonomischen<br />
und politischen Entwicklung der SFRJ sticht von der