DAS ARGUMENT - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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832 Michael Viktor Graf Westarp<br />
Auch die zitierte sogenannte „Freizeitdemokratie" dürfte fehl eingeschätzt<br />
sein, denn erst die Verfügung der-Arbeiterklasse über den<br />
Produktionsprozeß, die Inbesitznahme der Produktionsmittel durch<br />
sie, kann doch die sinnvolle emanzipatorische Nutzung der Freizeit<br />
sichern, deren auch schon im Kapitalismus erkämpfte Ausweitung als<br />
positiv zu bezeichnen eine Binsenweisheit ist. So bleibt der vom<br />
Proletariat in den fortgeschrittenen bürgerlichen Demokratien erkämpfte<br />
Sozialstaat grundsätzlich gefährdet, solange die politische<br />
Macht nicht in Händen der Arbeiterklasse liegt und nicht vermittels<br />
der sozialistischen Staatsmacht der Grundwiderspruch der kapitalistischen<br />
Gesellschaft, derjenige zwischen gesellschaftlicher Produktion<br />
und privater Aneignung der Resultate des Wirtschaftsprozesses,<br />
aufgehoben ist. Die Reaktion des Kapitals auf diesen proletarischen<br />
Kampf kann in bestimmten Krisenperioden bis zur ultima ratio des<br />
Faschismus gehen.<br />
Schon in der Zeit ihres Aufstiegs, wenn auch zunächst noch als<br />
.wenig durchschlagende Nebenströmung, bildet die Bourgeoisie eine<br />
gewisse ideologische Skepsis angesichts der Zukunft immer wieder<br />
heraus. Gemeint ist die Furcht vor den Folgen des eigenen sozialen<br />
Prinzips, die in dem Augenblick virulent werden konnte, als die<br />
industrielle Durchkapitalisierung der Gesellschaft, der politische Sieg<br />
des Bürgertums, schon den eigenen Totengräber zu produzieren begannen.<br />
Das reflektierende Zurückschrecken des bürgerlichen Subjekts<br />
vor der eigenen Zukunft, vor der Dynamik des entfesselten kapitalistischen<br />
Verwertungsprozesses, tritt sicher in der von der freien<br />
allseitigen Konkurrenz bestimmten liberalen Phase bürgerlicher<br />
Herrschaft weit hinter deren optimistisch-rationalistischen Glauben<br />
an das sich zwanglos herstellende gesellschaftliche Gleichgewicht<br />
zurück, doch ist dieses Zurückschrecken möglich geworden, seit die<br />
bürgerliche Revolution die relativ statischen, auf verschiedenen<br />
Formen des Grundeigentums beruhenden vorbürgerlichen Gesellschaftsordnungen<br />
zerbrochen hatte und nun die menschlichen Beziehungen<br />
mit seinem auf dynamischer Kapitalverwertung beruhenden<br />
Wirtschaftsprinzip fortlaufend umwälzte — ein Prozeß, der den Ruf<br />
nach stabilisierenden <strong>Institut</strong>ionen provozierte (so bei Burke).<br />
Ein solcher Konservatismus ist daher Von vornherein bürgerlichem<br />
Boden entsprossen, auch wenn er während des Liberalismus noch<br />
dem Interesse einer feudalen Reaktion Ausdruck verlieh, ihre restaurierenden<br />
Nachhutgefechte ideologisch absicherte. Die etablierte<br />
Bourgeoisie war ja auch sehr bald mit abgetretenen Herrscherklassen<br />
nachträglich gegen die Beherrschten solidarisch. Die konservative,<br />
antiliberale Zurücknahme der Versprechungen der bürgerlichen Revolution<br />
konnte dabei an die Auswirkungen des gewissermaßen negativen<br />
Konstruktionsprinzips bürgerlicher Wirtschafts- und Lebensweise<br />
anknüpfen und es vor den Massen gegen das liberal-egalitäre<br />
Versprechen ausspielen: nämlich die negative Beziehung auf den Mitmenschen,<br />
der bei der Verwertung von Kapital entweder Konkurrent<br />
ist oder als Abhängiger einen Kostenfaktor in der Kalkulation darstellt,<br />
wobei jeder den anderen als Instrument seiner je individuellen