DAS ARGUMENT - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Soziale Bewegung und Politik 857<br />
das Ende der Neuen ökonomischen Politik ist nicht auf das Jahr 1925<br />
zu datieren (22, 30).<br />
Der zweite Teil, der die Stellung der Gewerkschaften in Betrieb<br />
und Gesellschaft untersuchen will, dokumentiert weniger die tatsächliche<br />
Arbeit der sowjetischen Gewerkschaften als vielmehr die<br />
Interpretationsschemata und die pplitische Ideenwelt eines Vertreters<br />
der traditionellen westdeutschen Ostforschung. Immer wieder werden<br />
die „erstarrten, bürokratisch zementierten und schwerfälligen Strukturen"<br />
(72) der Partei-, Staats- und Gewerkschaftsorgane zitiert, ohne<br />
daß Begriffe wie Bürokratie, Apparatherrschaft oder die „Entfremdung<br />
ewischen Gewerkschaftsführung und Arbeiterschaft" (40) historisch<br />
aufgeschlüsselt oder empirisch angefüllt würden. Nach Lewytzkyj<br />
wird die Erfüllung der volkswirtschaftlichen Pläne in der UdSSR<br />
allgemein „zum Fetisch erhoben" (95), und die Gewerkschaften lassen<br />
sich in der Regel „völlig in den Götzendienst des Produktions- und<br />
Produktivitätsfetischismus einspannen" (74). Ihre Funktionäre gehen<br />
„sehr oft noch im alten Stalinistentrott mit der Betriebsverwaltung<br />
durch dick und dünn" und verirren sich im „Labyrinth der bürokratischen<br />
Herrschaftsmechanismen und dilettantischen Experimente"<br />
(54). Sie übernehmen meist die „Rolle des Antreibers" und zeigen nur<br />
eine „widerwillige Einsicht" in die Notwendigkeit, den Lebensstandard<br />
der Arbeiter zu erhöhen (57). Die Lohnpolitik wird ohne die<br />
Gewerkschaften gemacht (83), bei der Aufstellung der Pläne haben<br />
die Arbeiter kein Wort mitzureden (85). Gewerkschaftsvertretern ist<br />
die ständige Neigung eigen, „ihren von Entlassung bedrohten Kollegen'<br />
eher noch einen Eselstritt zu versetzen" (100). Da sie nichts für<br />
die Erhöhung des Lebensstandards tun, ist „das billige Schwarzbrot<br />
(...) eines der Hauptnahrungsmittel der russischen Bevölkerung"<br />
(85), deren Versorgung mit Obst, Gemüse und Fleisch natürlich unzulänglich<br />
bleibt. Ganz so schlecht geht es ihr freilich auch nicht:<br />
„immer (gab es) die robuste Arbeitskleidung und plumpe Schuhe und<br />
fast immer zu niedrigen Preisen" (85); Kleider, Herrenoberbekleidung,<br />
Hüte „und nicht zuletzt Damenunterwäsche" sind jedoch —<br />
falls man sie überhaupt in den Kaufhäusern findet — für die Arbeiter<br />
fast unerschwinglich (85). Bei der Regelung der Urlaubszeiten<br />
wird in den Betrieben „immer wieder kräftig danebenorganisiert":<br />
„Es ist, nach Leserbriefen an Gewerkschaftsblätter zu urteilen, wohl<br />
leichter, ein Treffen von Kossygin und Nixon zu veranstalten als für<br />
Mann und Frau die gleiche Urlaubszeit herauszuboxen" (104). Alle<br />
diese Mißstände rühren daher, daß sich die Gewerkschaften nicht um<br />
die Interessen der Arbeiter kümmern, statt dessen dafür Sorge tragen,<br />
daß „keiner von der Parteilinie abweicht" (123). Und die KPdSU<br />
klammert sich „verzweifelt an Dogmen, die ohne Gewaltanwendung<br />
nicht in die Tat umgesetzt werden können und daher jeglicher Überzeugungskraft<br />
entbehren" (124). Sie will nicht einsehen, daß vieles<br />
besser laufen würde, wenn man „tiefgreifende politische Umschichtungen"<br />
vornehmen und endlich das „überalterte sowjetische System"<br />
(71) verändern würde. Der Verfasser rät der Partei, sich ein Beispiel<br />
an den Verhältnissen zu nehmen, die Anfang 1968. in der CSSR