DAS ARGUMENT - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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774 Heiko Haumann<br />
Regierungs- und Gewerkschaftsorganen unter der Leitung Trotzkis<br />
zu verdanken, deren Grundlage Fünfjahrespläne für die Reparatur<br />
von Lokomotiven und Waggons bildeten (Befehle Nr. 1042 und<br />
1157) 24 . Ähnlich kam in den meisten Industriezweigen der rückläufige<br />
Prozeß zum Stehen, in einigen Bereichen wurde sogar der<br />
Stand von 1919 überschritten 25 . Insgesamt produzierte die Großindustrie<br />
1920 jedoch noch weniger als 1919, wenngleich sich das<br />
Tempo des Verfalls seit der Vorkriegszeit verlangsamt hatte 26 . Weniger<br />
betroffen von dem wirtschaftlichen Rückgang war die Klein- und<br />
Hausindustrie (das Kustar-Gewerbe stellte Textilien, einfache landwirtschaftliche<br />
Geräte, Gegenstände des täglichen Bedarfs her), da<br />
ihre Betriebe kaum technisiert waren und ihnen lokale Bezugs- und<br />
Absatzmärkte zur Verfügung standen, so daß sie nur unwesentlich<br />
unter den allgemeinen Transportschwierigkeiten zu leiden hatten. Ihr<br />
Gewicht gegenüber der Großindustrie erhöhte sich daher; das bedeutete,<br />
daß zugleich der private Sektor in der Industrie verhältnismäßig<br />
stark war 27 . Die Sowjetregierung erließ daher mehrere Verordungen,<br />
um diesen Bereich kontrollieren und in die zentrale Regulierung<br />
einbeziehen zu können: Neben der Vereinheitlichung des<br />
Genossenschaftswesens — durch die auch Genossenschaften von<br />
Heimarbeitern erfaßt wurden — wurde im September eine „Hauptverwaltung<br />
für die Klein- und Hausindustrie" geschaffen, den ihr<br />
unterstellten Betrieben der freie Handel untersagt und Ende November<br />
die Nationalisierung der Kleinindustrie deklariert 28 . Erreichte<br />
somit zwar die Industrieproduktion gegenüber der Vorkriegszeit<br />
einen absoluten Tiefstand — sie sank auf etwa ein Fünftel —, so<br />
waren doch Aufwärtstendenzen festzustellen, die bei weiterer energischer<br />
Arbeit einen planmäßigen industriellen Aufbau erhoffen<br />
ließen. Kennzeichen dieser Tendenz waren auch — als Folge der<br />
neuen Ernte — das Ansteigen des Kalorienwertes pro Kopf der Bevölkerung<br />
auf einen seit langem nicht gekannten Stand im Oktober 29<br />
und die ständig zunehmende Zahl der Tage, an denen tatsächlich ge-<br />
24 Die wichtigste Quelle dazu sind Aufsätze und Reden Trockijs, in:<br />
Soöinenija t.XV.<br />
25 Zur allgemeinen Verbesserung im 2. Halbjahr 1920 vgl. E. A. Preobrazenskij,<br />
Finansy v èpochu diktatury proletariata, Moskva 1921, S. 26.<br />
Zahlreiche Berichte sind dt. in der Russischen Korrespondenz, Jhg. 1920<br />
und 1921, erschienen.<br />
26 Kritzman, Heroische Periode, S. 252.<br />
27 Kritzman, Heroische Periode, S. 251/252, vgl. auch S. 298; S. N. Prokopovicz,<br />
Rußlands Volkswirtschaft unter den Sowjets, Zürich-New York<br />
1944, S. 181; A. Kaufman, Schmall-scale Industry in the Soviet Union, New<br />
York 1962, S. 27—30, 81; E. Kviring, Social'naja struktura promyslennosti<br />
SSSR (1918—20 i 1924—27 gg.), in: Planovoe chozjajstvo Nr. 3/1928, S. 7—21.<br />
28 Sobranie ukazonenij i rasporjazenij rabocego i krest'janskogo<br />
pravitel'stva, Moskva 1920, Nr. 78 Art. 366; Nr. 93 Art. 512. Lediglich<br />
Kleinstbetriebe blieben von der Nationalisierung ausgenommen.<br />
29 Itogi desjatiletija sovetskoj vlasti v cifrach (1917—1927), Moskva o. J.<br />
(1927/1928), S. 360; vgl. Kritzman, Heroische Periode, S. 295.