DAS ARGUMENT - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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738 Hansgeorg Conert<br />
„sozialistische Marktwirtschaft" bezeichnet. Bis Anfang der sechziger<br />
Jahre war das Verhältnis von zentraler Planung und Leitung einerseits<br />
und Marktbeziehungen zwischen den Wirtschaftssubjekten andererseits<br />
im ganzen aber nicht wesentlich anders geartet als z. B. in<br />
der DDR nach dem Neuen ökonomischen System von 1963. Im Zuge<br />
der Wirtschaftsreform von 1965 wurde in Jugoslawien jedoch mit<br />
der Beseitigung jeder für die Betriebe verbindlichen zentralen Wirtschaftsplanung<br />
die gesamtgesellschaftliche Verfügung über die sachlichen<br />
Produktionsbedingungen aufgegeben und mit der Senkung der<br />
betrieblichen Steuer- und Gewinnabführungen an die öffentlichen<br />
Haushalte die gesellschaftliche Aneignung des Mehrprodukts weiter<br />
reduziert 8 . Nach offizieller Version erfolgten diese Maßnahmen im<br />
Interesse des Ausbaus der Selbstverwaltung. Dabei wird — verkürzt<br />
—• so argumentiert: Selbstverwaltung der unmittelbaren Produzenten<br />
müsse vor allem deren Recht auf Verfügung über das von ihnen<br />
geschaffene Produkt einschließen. Deshalb sei wirkliche Selbstverwaltung<br />
nicht zu vereinbaren mit der Lenkung der Betriebe von<br />
außen (durch zentrale Planung) sowie mit der „Entfremdung der<br />
unmittelbaren Produzenten von ihrem Produkt" (durch Abführung<br />
größerer Mehrproduktteile an den Staat). Tatsächlich wurden im<br />
Verlauf der Wirtschaftsreform nach 1965 die jugoslawischen Betriebe<br />
aus jeglicher Bindung an die Erfordernisse eines rational und<br />
bewußt geplanten gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozesses<br />
entlassen 7 . Im Marxschen Sinne fungieren sie als kollektive Privatproduzenten.<br />
Die gesellschaftliche Selbstverwaltung soll auf zwei Ebenen realisiert<br />
werden: als Arbeiterselbstverwaltung im engeren Sinne in den<br />
„Arbeitsorganisationen" (d. h. in Betrieben, Schulen, Verwaltungsbehörden<br />
etc.) und als allgemeine Selbstverwaltung in den „gesellschaftspolitischen<br />
Gemeinschaften" (Gebietskörperschaften). Die <strong>Institut</strong>ionalisierung<br />
der Selbstverwaltung auf der erstgenannten<br />
Ebene begann im Sommer 1950 durch das „Grundgesetz über die Leitung<br />
der staatlichen Wirtschaftsbetriebe ... durch die Arbeiterkollektive";<br />
die Selbstverwaltung im zweiten Bereich 1952 mit der Ergänzung<br />
der Volksausschüsse in den Kommunen durch Produzentenräte<br />
(einer überbetrieblichen Repräsentanz der Arbeiterräte in den örtlichen<br />
Vertretungskörperschaften). Die institutionellen Formen und<br />
normativen Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane wurden in<br />
der Folgezeit mehrfach im erweiternden Sinne modifiziert und 1963<br />
in einer neuen Verfassung (Edvard Kardelj: „Verfassung eines absterbenden<br />
Staates") systematisiert. Seither wurden wiederum durch<br />
diverse Amendments die Verfassungsbestimmungen von 1963 z. T.<br />
erheblich verändert.<br />
6 Entsprechende Reduktionen gab es stufenweise schon vordem.<br />
7 Es existieren zwar noch .Gesellschaftspolitische Pläne' für Fünfjahresabschnitte<br />
mit Globaldaten der Grundstruktur der ökonomischen<br />
Entwicklung. Sie werden jedoch nicht disaggregiert in verbindliche betriebliche<br />
Einzelpläne.