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Heft - Institut für Theorie ith

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symbo lischen Ordnungen entkommen, wie<br />

Gilles Deleuze und Félix Guatarri vorschlagen?<br />

10 Oder unterliegen die Artikulationen,<br />

wie Laclau / Mou≠e suggerieren, immer der<br />

Tendenz, die Hänge der Kluft zu sichern,<br />

indem sie provisorische Identitäten konstituieren?<br />

Wäre es im Hinblick auf diese Frage des Artikulierens<br />

interessant, die Zwei ins Spiel zu<br />

bringen? Die Zwei, die, insofern sie die<br />

Unendlichkeit der Potentialität ausdrückt<br />

bzw. eine Figur der Unentscheidbarkeit zwischen<br />

Einheit und Vielheit darstellt, in der<br />

Lage ist, die Kluft sprechbar zu machen?<br />

Entstünde, um auf Lummerding zurückzukommen,<br />

mit der Zwei eine Figur, die sich<br />

zwischen Etwas und Nichts schiebt; die, statt<br />

sich von einer solchen Alternative einfangen<br />

zu lassen, einen aufschiebenden Unterstrich<br />

aktiviert: some-thing_no-thing? Doch braucht<br />

es, so meine These, einen Unterstrich oder<br />

irgendeine andere artikulatorische Praxis,<br />

um in dem Dilemma, in dem die Zwei steht,<br />

die Verschiebung von der antagonistischen<br />

Spaltung der Eins oder dem sich ergänzenden<br />

Paar zur Unmöglichkeit der Schliessung<br />

vorzunehmen.<br />

Spiegelung<br />

und<br />

Gespiegeltes<br />

Vielleicht erö≠net der Spiegel den idealen<br />

Zugang zur Zwei? In Anbetracht von Spiegelung<br />

und Gespiegeltem – die als «sich Spiegelnde»<br />

niemals gleichzeitig in ihrer Gänze<br />

betrachtet werden können – wird klar, 11 dass<br />

die Zwei nicht eins ist, sondern sich aus<br />

etwas formiert, von dem sich weder sagen<br />

lässt, dass es das Gleiche noch dass es unvergleichbar<br />

ist. Im Vergleichen entsteht eine<br />

paradoxe Bewegung, die jedoch der Gefahr<br />

unterliegt, die Ambivalenz aufzuheben und<br />

entweder ins Gleiche oder in die endlose Vervielfältigung<br />

der Di≠erenz zu kippen oder<br />

die Zwei zum idealen Paar, die Spiegelung<br />

zur optimalen Ergänzung zu erklären. Auch<br />

letzteres, selbst wenn es die Unentscheidbarkeit<br />

zwischen Gleichheit und Di≠erenz aufrecht<br />

erhält, ist ein Problem, insofern es die<br />

Zwei gegen aussen hin verschliesst und doch<br />

heimlich eine Einheit kreiert. Die paradoxe<br />

Spannung der Bewegungen aufzuheben,<br />

vom Vergleichen zum Vergleich zu kommen,<br />

hat in jedem Falle den E≠ekt, die Anerkennung<br />

der Ermöglichungsbedingung der<br />

Zwei, die Unentscheidbarkeit von Einheit<br />

und Vielheit, zu verhindern.<br />

Insofern ist es reizvoll, die Zwei als Unmenge<br />

zu betrachten. Im Vorwort des gleichnamigen<br />

Buches wird die Unmenge nicht als<br />

grosse Zahl, 12 sondern als Unzählbarkeit<br />

charakterisiert; sie bezeichnet das, was ontologisch<br />

oder repräsentational keinen Anteil<br />

hat. In Anlehnung an Jacques Rancière<br />

heisst es: «Die Unmenge umfasst (auch) den<br />

Teil ohne Anteil, part san part.» 13 Wird also<br />

die Ambivalenz im Inneren der Zwei aufrechterhalten<br />

und diese Ambivalenz zugleich<br />

als eine angesehen, die die Zwei in paradoxer<br />

Bewegung über sich hinaus, nach aussen, in<br />

eine unzählbare Vielheit treibt, dann gerät<br />

die politische Dimension der Zwei in den<br />

Blick. Diese liegt gerade nicht darin, dass sie<br />

das Paar als Grundfigur der politischen<br />

Organisation, als Keimzelle der Pluralisierung<br />

oder als Verkörperung antagonistischen<br />

Kampfes fasst, sondern darin, dass sie<br />

Raum <strong>für</strong> die so genannten unbemerkbaren<br />

Politiken (imperceptible politics) erö≠net. 14<br />

Dies sind Politiken, die in den identitätslogischen<br />

Repräsentationsrastern nicht, oder<br />

zumindest nicht als Artikulation politischer<br />

Subjekte wahrgenommen werden können;<br />

Politiken, die sich auf Ebenen oder Weisen<br />

mit der Welt verbinden, die jenseits der üblichen<br />

Wahrnehmungsschwelle liegen, die<br />

Verbindungen stiften, indem Intensitäten<br />

sich a∞zieren und Bewegungen ungewöhnliche<br />

Wege oder Formen finden.<br />

10 - Vgl. Gilles Deleuze / Félix Guattari,<br />

Tausend Plateaus. Kapitalismus<br />

und Schizophrenie II, Berlin 1992.<br />

11 - Werden Spiegelung und Gespiegeltes<br />

nicht getrennt in den Blick<br />

genommen, sondern gemeinsam,<br />

so erscheinen sie notwendig ausschnitthaft<br />

und perspektivisch<br />

verschoben.<br />

12 - In diesem Buch, das den Untertitel<br />

Wie verteilt sich Handlungsmacht?<br />

trägt, werden Analysen<br />

politischer Macht- und Ungleichheitsverhältnisse<br />

dadurch eröffnet,<br />

dass die Trennung von Subjekt<br />

und Objekt durch deren<br />

gegenseitige Verflochtenheit in<br />

einer Unmenge hervorgehoben<br />

wird: Unmenge – Wie verteilt sich<br />

Handlungsmacht?, Ilka Becker<br />

u. a. (Hgg.), München 2008. Dies<br />

geht notwendig mit einer Entprivilegierung<br />

des Subjekts einher,<br />

ohne dass dessen Position, z. B.<br />

als Machthaber_in, noch definitiv<br />

bestimmbar wäre. Entsprechend<br />

wird die Verteilung (von Handlungsmacht)<br />

nicht als Aufteilung<br />

eines bereits bestehenden Ganzen,<br />

sondern als Spannungsverhältnis<br />

einer geteilten Situation<br />

verstanden, vgl. ebd., S. 8.<br />

13 - Ebd., S. 9.<br />

14 - Vgl. Deleuze / Guatarri, Tausend<br />

Plateaus (wie Anm. 10); Dimitris<br />

Papadopoulos u. a. (Hgg.), Escape<br />

Routes. Control and Subversion<br />

in the 21st Century, London 2008;<br />

J. Simon Hutta, «Paradoxical<br />

publicness. Becoming-imperceptible<br />

w<strong>ith</strong> the Brazilian LGBT<br />

movement», in: Rethinking the<br />

Public. Innovations in Research,<br />

Theory and Policy, Janet Newman<br />

u. a. (Hgg.), Bristol 2010, S. 143–161.<br />

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