Heft - Institut für Theorie ith
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31 N°- 14/15<br />
Die Figur der Zwei<br />
Richard Heinrich<br />
Zweiheit<br />
und<br />
Vervielfäl tigung<br />
Der vorliegende Text basiert auf einem<br />
Vortrag, der im Rahmen der Camille<br />
Graeser Lectures 2010 am Kunsthistorischen<br />
<strong>Institut</strong> der Universität Zürich<br />
gehalten wurde.<br />
25<br />
Der zweite Teil dieses Essays<br />
handelt von einigen Begri≠en<br />
– Vielheit, Einheit, Di≠erenz,<br />
Figur –, die <strong>für</strong> den Zusammenhang<br />
von Dualität und<br />
Mannigfaltigkeit bei Gilles<br />
Deleuze grundlegend sind (die<br />
Referenztexte sind Di≠érence<br />
et répétition und Mille plateaux).<br />
Der abschliessende<br />
dritte Teil ist dem Begri≠ der<br />
Freundschaft gewidmet, der<br />
Elemente einer eigentümlichen<br />
Figuration von Zweiheit<br />
enthält. Hier beziehe ich mich<br />
auf das Proust-Buch von<br />
Deleuze, vor allem aber auf<br />
Proust selbst. An den Anfang<br />
stelle ich, als ersten Teil, eine<br />
konservative philosophiegeschichtliche<br />
Erinnerung.<br />
Aristoteles:<br />
Metaphysik und Physik<br />
In der traditionellen Lehre von den Transzendentalien gilt: Alles was<br />
wahrhaft ist, ist eins. Ein grosser Vorsitzender, so er wahrhaft existiert,<br />
ist natürlich einer; Jorge Luis Borges’ babylonische Bibliothek ist –<br />
malgré tout – eine; und selbst ein Zweifaches ist, wenn es wahrhaft<br />
existiert, eines. Kurzum: Wenn wahrhaftes Sein prinzipiell allen möglichen<br />
Kandidaten o≠en steht, so wird doch jeder da<strong>für</strong> (mindestens)<br />
den Preis entrichten müssen, «eins zu sein» – auch das Zweifache und<br />
das Viele.<br />
Mit gelinder zusätzlicher Anstrengung hat man freilich noch<br />
anderes herausgehört aus dem Grundsatz von der Einheit des Seienden:<br />
Nämlich dass alles, was ist, ein und dasselbe ist, dass nur Eines<br />
wahrhaft existiert. Alles andere (was als Kandidat antritt) existiert<br />
dann entweder gar nicht oder jedenfalls nicht wahrhaft oder wird,<br />
wenn es zur wahrhaften Existenz übergeht, von dem Einen gleichsam<br />
verschlungen.<br />
Aber auch die erste (nach unserem Geschmack liberalere) Variante<br />
lässt einen Weg o≠en zu einer (freilich nicht derselben) «integrativen»<br />
Einheit: zu der Vorstellung des einen Vielen, das die Vielen, die<br />
jeweils eins sind, zusammenfasst.<br />
Unablässig wurde in der Geschichte der europäischen Philosophie<br />
versucht, jenes einzige Seiende mit dem Vielen (und der zusammenfassenden<br />
einen Vielheit) auf möglichst ökonomische Weise in<br />
einer Au≠assung oder Lehre vom Sein zu verbinden. Meist wird dabei<br />
das exklusive eine Sein als Grund interpretiert, und das Viele als davon<br />
abhängig. Charakteristikum der jeweiligen Lehre ist der zusätzliche<br />
Begri≠, den sie zur Beschreibung dieser Abhängigkeit anbietet. Hier<br />
gibt es eine reiche Auswahl: von der Schöpfung, Zeugung, Entwicklung,<br />
über das Zerplatzen … bis hin zu den hier interessanteren Vorstellungen<br />
von Teilung und Verdoppelung. Allerdings: In solch einem