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Heft - Institut für Theorie ith

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Freundschaft das kardinale Hindernis auf dem Der «gemeinsame gute Willen» (εὔνοια), der die In -<br />

Weg zu der Quelle individueller (und insbesondere<br />

künstlerischer) Kreativität. Zwei Zitate müssen in einer Figur der vollkommenen und gewussten<br />

di viduen in der Freundschaft zusammenschliesst,<br />

hier genügen:<br />

Gegenseitigkeit, wird hier verallgemeinert vorgestellt,<br />

als universeller Geist der Verständigung mit<br />

«La conversation même qui est le mode d’expression sich selbst. Das ist bereits die Kritik am «Bild des<br />

de l’amitié est une divagation superficielle, qui ne Denkens» in Di≠erenz und Wiederholung, die<br />

nous donne rien à acquérir. Nous pouvons causer Kritik an der Lähmung des Denkens in seiner Neigung,<br />

einem voraus entworfenen Bild von sich<br />

pendant toute une vie sans rien dire que répéter<br />

indéfiniment le vide d’une minute, tandis que la marche<br />

de la pensée dans le travail solitaire de la créati-<br />

nicht, dass Vereinzelung als solche gegen diese<br />

selbst zu entsprechen. Der kritische Punkt ist<br />

on artistique se fait dans le sens de la profondeur, la Universalität gestellt wird; die Vereinzelung<br />

seule direction qui ne nous soit pas fermée, où nous<br />

Prousts – «si j’étais resté seul …» – ist nur das Tor<br />

puissions progresser, avec plus de peine il est vrai,<br />

zu einem Progress im Unbekannten, der – so<br />

pour un résultat de vérité. Et l’amitié n’est pas seulement<br />

dénuée de vertu comme la conversation, elle Deleuze – einen Anstoss von aussen voraussetzt.<br />

est de plus funeste.» 19<br />

Was die Figur zur Vielheit hin ö≠net ist<br />

also letztlich nicht ein anderes System, ein anderes<br />

Schema, sondern immer die Kreativität, die<br />

Vereinzelung erscheint als Bedingung der Kreativität.<br />

So gibt es eine Stelle in «Guermantes II», wo einen unvorhersehbaren, kontingenten Anstoss<br />

der Erzähler, während er gerade seinen Freund aufnimmt und weiterleitet.<br />

Robert de Saint-Loup von der Wohnung auf die Zum Abschluss ein längeres Zitat aus dem<br />

Strasse hinunter begleitet, eine poetische Eingebung<br />

hat, intensivste Erinnerungen: «J’éprouvais der Begri≠ des «Immanenzplanes» eben gegen<br />

Proust-Buch, wo man vorgebildet sehen kann, wie<br />

à les percevoir un enthousiasme qui aurait pu être jede Vor-Gestaltung von Vielheit in Figuren ebenso<br />

wie in Allgemeinheiten gerichtet sein wird:<br />

fécond si j’étais resté seul […].» 20<br />

Wie steht bei Proust die Liebe der Freundschaft<br />

gegenüber? Der Gegenseitigkeit in der «Dies ist wohl verantwortlich <strong>für</strong> jene außergewöhnliche<br />

Abfolge nicht aufeinander abgestimmter Teile<br />

Freundschaft kontrastiert in der Liebe die Eifersucht<br />

– die Zerstörung und Destruktion der<br />

in der Recherche, mit irreduziblen Entfaltungsrhythmen<br />

oder Explikationsgeschwindigkeiten:<br />

Gemeinsamkeit schlechthin. (Weder der Zusammenhang<br />

mit der platonischen <strong>Theorie</strong> der Liebe sie bezeugen auch nicht jeweils ein Ganzes, aus dem<br />

nicht nur bilden sie gemeinsam kein Ganzes, sondern<br />

als Begehren nach dem Mangelnden noch die sie herausgerissen wären, das unterschieden von dem<br />

komplexen Beziehungen zwischen der <strong>Theorie</strong> Ganzen anderer wäre, so daß sich ein Dialog zwischen<br />

den Welten herstellen würde. Die Kraft, mit<br />

der Eifersucht und der Poetologie des Romans bei<br />

Proust können hier weiter verfolgt werden).<br />

der sie in die Welt geschleudert sind, gewalttätig<br />

ineinandergefügt trotz ihrer nicht übereinstimmenden<br />

Ränder, macht sie als Teile erkenntlich, ohne daß<br />

Deleuze<br />

sie indessen ein Ganzes, und sei es ein verborgenes,<br />

bilden würden, ohne daß sie aus einer Totalität, und<br />

Was Deleuze in seinem Buch über Proust vor<br />

sei es einer verlorenen, hervorgehen würden. Indem<br />

allem aufnimmt und sich zu eigen macht, ist der<br />

er Stücke in Stücke setzt, findet Proust ein Mittel, um<br />

Zusammenhang von Kritik der Freundschaft und<br />

sie alle denken zu lassen, doch ohne Bezug auf eine<br />

Kreativität. Er weitet die Kritik an der Freundschaft<br />

aus zu einer Kritik an der Philosophie:<br />

von ihnen abzuleiten wäre.» 22<br />

Einheit, von der sie abgeleitet wären, oder die selbst<br />

«Wichtig ist, daß Proust die gleiche Kritik gegen die<br />

Philosophie und gegen die Freundschaft richtet.<br />

Freunde sind im Verhältnis zueinander wie Geister<br />

guten Willens, die sich über die Bedeutung der Dinge<br />

und der Wörter verständigen: Sie kommunizieren<br />

unter der Wirkung eines gemeinsamen guten Willen.<br />

Die Philosophie gleicht dem Ausdruck eines universellen<br />

Geistes, der sich mit sich selbst verständigt,<br />

um explizite und kommunizierbare Bezeichnungen<br />

zu bestimmen. Prousts Kritik berührt das Wesentliche:<br />

Wahrheiten bleiben willkürlich und abstrakt,<br />

solange sie sich auf den guten Willen zum Denken<br />

gründen. Nur das Konventionelle ist explizit. Daher<br />

kennt die Philosophie wie die Freundschaft jene<br />

dunklen Zonen nicht, wo die wirksamen Kräfte sich<br />

ausbilden, die auf das Denken wirken, die Bestimmungen,<br />

die uns zu denken zwingen […].» 21<br />

19 - Marcel Proust, À la<br />

recherche du temps<br />

perdu, Jean-Yves<br />

Tadié (Hg.), 4 Bde.,<br />

Paris 1991, Bd. 2,<br />

S. 260f.<br />

20 - Ebd., S. 691.<br />

21 - Gilles Deleuze,<br />

Proust und die<br />

Zeichen, Frankfurt<br />

a. M. 1978, S. 78.<br />

22 - Ebd., S. 99.<br />

Richard<br />

Heinrich<br />

30<br />

Zweiheit<br />

und<br />

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