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Heft - Institut für Theorie ith

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31 N°- 14/15<br />

Die Figur der Zwei<br />

Victor I. Stoichita<br />

Minimal<br />

Zurbarán<br />

Was man sieht, ist eine männliche Gestalt in Mönchskutte,<br />

die mit verschränkten Händen bewegungslos dasteht, die<br />

Augen zum Himmel erhoben. Abb. 1 Nichts weiter. Die Gestalt<br />

steht o≠ensichtlich in einer Nische. Der grosse Schatten<br />

neben ihr zeigt an, dass links ausserhalb des Bildes eine<br />

Lichtquelle vorhanden ist. Die Szenerie ist minimal und enthält<br />

nichts ausser dieser einzigen, mit ihrem Schatten doppelt<br />

abgebildeten Gestalt. Der Blick des Betrachters irrt über<br />

die kahlen, schmucklosen Sto≠massen, gleitet über die raue<br />

Oberfläche des härenen Gewandes, hält bei einem Knick<br />

inne, versinkt in der dunklen Tiefe einer Furche. An einer<br />

besonders dunklen Stelle in der Armbeuge tut sich – ein<br />

klein wenig nur – eine Falte auf, die kaum sichtbar ist.<br />

Aber ist das wirklich eine Falte, ist das nicht eher ein<br />

Riss oder, genauer betrachtet, eine Wunde? Die männliche<br />

Gestalt in der Kutte, die mit verschränkten Händen vor dem<br />

Betrachter steht, die Augen zum Himmel erhoben, trägt ein<br />

Zeichen, das kaum sichtbar ist, aber doch nicht zu leugnen:<br />

ein Stigma. Diese Gestalt ist niemand anderer als Franz von<br />

Assisi. Oder, präziser gesagt: Diese Gestalt ist ein Scheinbild,<br />

ein minimales und hyperreales Abbild des hl. Franziskus.<br />

Die erste schriftliche Quelle, die eine solche Darstellung<br />

des Heiligen erwähnt, zeigt bereits einen Grossteil ihrer<br />

Problematik auf. Diese Quelle, ein kurzer Kommentar von<br />

Francisco Pacheco in seinem Werk Arte de la Pintura von<br />

1649, das der Franziskus-Ikonographie ein paar Seiten widmet,<br />

ist doppelt wertvoll: Einerseits wird auf das Minimum<br />

an Details hingewiesen, andererseits wird der Stellenwert<br />

des Bildes als «Zeugnis» hervorgehoben:<br />

41<br />

«Er [der hl. Franziskus, V. S.] soll mit dem Riss im Gewand<br />

gemalt werden, so dass die Wunde an der Seite sichtbar wird; der<br />

Riss stammt von denen, die den Heiligen nach seinem Tode einkleideten.<br />

Und den Gemälden ist es zu verdanken, dass wir [heute]<br />

Kenntnis haben von der Art, wie er [immer noch] aufrecht<br />

steht, dort in Assisi, als ob er noch am Leben wäre, so viele Jahre<br />

nach seinem Hinscheiden. Und so ist er auch zu sehen im Kloster<br />

des hl. Franziskus in Madrid, in der ersten Nische des Kreuzganges,<br />

vortrefflich gemalt von Eugenio Caxes, (denn) Gemälde<br />

sollen Zeugnis ablegen von der Wahrheit.» 1<br />

Dieser Artikel entstand im Anschluss<br />

an das Seminar The Saint’s Body, das<br />

ich im Jahre 2006 als Zobel de Ayala<br />

Visiting Professor gemeinsam mit Tom<br />

Cummins am Department <strong>für</strong> Kunstgeschichte<br />

an der Harvard University<br />

geleitet habe. Ich widme den Artikel<br />

Tom Cummins und den Seminarteilnehmern,<br />

in Erinnerung an die Diskus -<br />

sionen und Debatten vor dem Franziskus-Bild<br />

von Zurbarán im Museum<br />

von Boston. Für die deutsche Übersetzung<br />

des vorliegenden Textes sei<br />

hier Ruth Herzmann bedankt. Für<br />

die Übersetzung und Transkription<br />

einiger lateinischen Passagen bin ich<br />

Alessandra Mascia verpflichtet.<br />

Aus diesen Zeilen erfährt man also, dass es in Spanien, insbesondere<br />

in Madrid, «Zeugnis»-Bilder gibt, auf denen der<br />

wundersam unverweste Leichnam des hl. Franziskus abgebildet<br />

ist, wie er noch heute in Assisi (Italien) erhalten ist.<br />

Als Beispiel zitiert Pacheco das Gemälde von Eugenio Caxes,<br />

das zwar verloren ging, von dem aber noch eine Zeichnung<br />

in der Wiener Albertina existiert. Abb. 2 Einige Elemente auf<br />

dieser Zeichnung lassen vermuten, dass der Bildtypus,<br />

von dem Pacheco spricht, nicht derselbe ist wie der hier<br />

diskutierte.<br />

Die Zeichnung zeigt ein Gewölbe, in dessen Mitte der<br />

hl. Franziskus auf einem Sockel steht, «[…] aufrecht […], als<br />

ob er noch am Leben wäre […]». Das Gewölbe wird dreifach<br />

beleuchtet – von einer Lampe an der Decke, vom Nimbus um<br />

1 - «Hase de pintar […] un golpe en el habito por donde se descubra<br />

la llaga del costado, que así se lo dieron al que le vistieron<br />

después que murió […]. Como esta milagrosamente<br />

en Assis, en pie, después de tantos años como si estuviera<br />

vivo, ya se sabe por las pinturas: como se ve en San Francisco<br />

de Madrid, en la primera estación del claustro, aventajadamente<br />

pintado de mano de Eugenio Caxés (porque) las<br />

pinturas han de testificar la verdad», Francisco Pacheco,<br />

Arte de la Pintura su Antigvedad y Grandezas, Sevilla 1649,<br />

S. 582. Diese und alle folgenden Übersetzungen der französischen<br />

und spanischen Originalzitate ins Deutsche durch V.<br />

S. und Ruth Herzmann.

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