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Heft - Institut für Theorie ith

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Barbara<br />

Köhler<br />

79<br />

Nebensetzen<br />

Mehr-als-eine sprache und das mannigfache jeder einzelnen<br />

von ihnen: gespräch, bewegungen (mancher, vielleicht<br />

ja vieler) im raum dazwischen, wo noch nicht fest steht,<br />

was ein wort bedeutet – nur o≠en, was es alles heissen<br />

kann (> everything of one), es freigestellt ist, sie freigestellt<br />

sind und zu einander so, dass ihre möglichkeiten sichtbar<br />

werden, realisiert werden können: wahrgenommen, als<br />

möglichkeiten, konjunktive, verbindlich, im kon-takt, einander<br />

antwortend: korrespondierend.<br />

Wie aber dies übersetzen? Was wiederholt die übersetzung<br />

eines satzes in eine andere sprache? Seinen «sinn»? Und<br />

hiesse das: eine deutigkeit, und das möglichst ein-deutig,<br />

1:1, «richtig» gerichtet: ein eindeuten auf zb aussersprachliche<br />

sachverhalte? Was gemeint sei? «Was uns der dichter<br />

damit sagen wollte»? Thy will … der dichter, der deuter,<br />

der richter, zu deut’sch: ein diktator, sprachbeherrscher<br />

mit weisungsbefugnis, der dem allgemeinen random walk<br />

orientierung geben kann, der sagt wo’s langgeht (und der<br />

übersetzer sagt ihm das ganz genau nach?)???<br />

Das ist nun tiefstes 20.jahrhundert, wird aber immernoch<br />

gern genommen. Nachlesen, nachdenken, nachfühlen,<br />

nachspüren, nachgehen, nachdichten, sich identifizieren<br />

(– Sie besitzen einen amtlichen ausweis <strong>für</strong> die erkennungsdienstliche<br />

behandlung von literatur?): die wortmacht,<br />

die sprachgewalt, das sagen HABEN, behaupten,<br />

beanspruchen mit der geste, die andre einschliesst: <strong>für</strong> sie<br />

zu sprechen. Sie zum schweigen bringen, ausschliessen.<br />

Ins unrecht setzen, recht haben wollen. Feststellen, verorten,<br />

zb auch wo und wer vorn ist: avantgarde?<br />

•<br />

Übersetzen: sätze, die sitzen, wörter, die sich nicht von<br />

der stelle rühren, an die sie gestellt sind, gestellt werden,<br />

wie stühle gestellt: tote dinge, objekte, auf denen sich platz<br />

nehmen lässt, platz, den man dann objektiv hat oder nicht<br />

hat, («was man schwarz auf weiss besitzt»): einen stuhl<br />

(den es ja sogar als heiligen gibt), position als possession<br />

und ein vorsitzender, der da das sagen hätte, im chefsessel<br />

– the chair. Besitzer, inhaber, eigentümer. 1 zu 1, einer und<br />

eins, eindeutig, per gesetz: seins.<br />

Übertragen: etwas auf sich nehmen, es annehmen, tragen,<br />

um es weiterzubringen, weiterzugeben (vielleicht), weiter<br />

zu machen: als last, als auszeichnung; kraft darauf verwenden,<br />

energie, die man auch erhalten kann – erhalten als<br />

bekommen sowie erhalten als nicht-nachlassen-lassen –<br />

hat wohl (aktiv) zu tun mit entropie. Etwas tragen: es bewegen<br />

und halten, es in bewegung halten, vorübergehend nur<br />

und nicht zu fest, eher lose, doch ohne es fallen zu lassen.<br />

Übertragen: eine bewegung, einen impuls, energie.<br />

Der übersetzer, der den satz vom stuhl im anderen sprachraum<br />

exakt so plaziert, dass er dem blick eines darauf<br />

platznehmenden lesers auf zb «die wirklichkeit» ein gleiches<br />

(ein identisches, 1:1) bild bietet? Keine abwegige vorstellung;<br />

so wird das oft und gern gesehn. Im rahmen einer<br />

flächigen geometrie.<br />

Bloß – sollte man [um auch mal ein bisschen beim bild zu<br />

bleiben] mit Gertrude Stein nicht eher musical chairs spielen?<br />

Mit mehreren (n) stühlen und noch mehreren (n + 1)<br />

beteiligten, die sich bewegen und nur gelegentlich zum sitzen<br />

kommen und in unterschiedlichsten richtungen, keinesfalls<br />

aber alle: 1, one, einer oder eine auch nicht. Jede<br />

runde erzeugt aufs neue (wiederholt) die autobiographische<br />

konstellation I AND THEY: die oder der eine ohne sitzplatz,<br />

anders als sie, die anderen. Das ich, das da steht, entsteht<br />

durch di≠erenz, dis-position, deplazierung; es besitzt keinen<br />

stuhl, es hat keinen platz, der die stelle zum ort machen<br />

würde, ist ja selbst dahingestellt, nicht sesshaft, verortet:<br />

wäre («sozusagen») ein utopisches.<br />

Die regel besagt nun, dass das vom spiel auszuschliessen<br />

sei.<br />

Diese regel aber dreht Gertrude Stein kurzerhand um: In<br />

one two three / All out but me. Das ist IHR spiel, ihres und<br />

ihrs, ohne das spiel aller sein zu sollen, zu wollen, zu können;<br />

she (heisst es an einer anderen stelle) is not only but<br />

also all.<br />

Deswegen gibt es in ihrem spiel auch noch andere andere,<br />

gibt es mehr als eine mehrzahl: when they went w<strong>ith</strong> them<br />

wird auch der plural plural.<br />

Das stehende, deplaziert entstehende ich aber ist bei Gertrude<br />

Stein nicht verlierer des spiels, sondern gewinn – im einklang<br />

von ONE und WON, eine aus di≠erenz gewonnene einheit:<br />

aus der nicht-einheit mit den «anderen» (womöglich<br />

«allen»?) in einer ersten person plural, als WIR – was auch<br />

möglich wäre, ja doch gerade noch war: wir, die auf stühlen<br />

sassen, die wir unsere nannten, ours, uns gestundete, eine<br />

zeitlang zustehende stühle; dieses WIR, das in I AND THEY<br />

zerfallen ist. – Einerseits.<br />

Von der anderen seite aber zerfällt es in «WE AND ONE» –<br />

bzw zerfällt das WIR eben nicht, sondern schliesst eins aus,<br />

n – 1, was so bei Gertrude Stein nicht vorkommt; das ist<br />

nicht ihre seite. Ist nicht ihre art, WIR zu sagen: um ein<br />

einvernehmen, eine gruppe, eine gleichheit, um identität<br />

herzustellen, damit eines als anders ausgeschlossen werden<br />

kann, in den negativen bereich verschoben, als verlierer<br />

aus dem spiel geworfen, als loser.<br />

Die komplementäre möglichkeit wäre eine positiv-verschiebung,<br />

1 + n: ein ausnahme-ich, und nicht als gewinner,<br />

sondern sieger, teil des WIR, aber darin gleichzeitig<br />

allen anderen überlegen. Das spiel entpuppt sich so als<br />

wettbewerb, womit auf feststellung (behauptung) eines<br />

«besten» gezielt wird, der oder das – ganz neutral, objektiv<br />

wie ein stuhl – gestellt werden kann, auf die oberste stufe<br />

vom treppchen: einer / eines über alle(s)… Kommt<br />

Ihnen die melodie nicht auch bekannt vor? Das alte lied<br />

vom bruder nr. 1 oder von der «sache», <strong>für</strong> die sich zu sterben<br />

lohnt; der o∞zielle sound des 20. jahrhunderts.<br />

WE ist das personalpronomen, das Gertrude Stein nur in<br />

seltnen und auch eher seltsamen fällen verwendet. Ausgeschlossen<br />

wird es aber keineswegs.<br />

Diese erste person plural schliesst die erste singular ja ein:<br />

es braucht ein ich, um WIR zu sagen; aber dieses ich kann<br />

kaum eins sein, ist nur 1 als teil: UNSEREINS, es schliesst

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