Heft - Institut für Theorie ith
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suchen. Die Muttersprache ist an sich schon ein weites Feld, ein<br />
riesiges Gelände, wo man von Anfang an nach Wörtern sucht,<br />
nach immer neuen Wörtern, so dass man zwangsläufig entdeckt,<br />
was einem dieses Suchen bedeuten kann, die schnelle oder langsame,<br />
übereifrige und überanstrengte, blinde oder hungrige<br />
Suche. Neue Wörter zu finden und eine vollständig neue Sprache<br />
zu erfinden, war <strong>für</strong> mich und nicht nur <strong>für</strong> mich eine Weile<br />
eine Sportart, und mit ungefähr fünf Jahren sass ich mit einigen<br />
Nachbarkindern immer wieder auf einer Bank in dem Park vor<br />
unserem Haus, um uns dort in aller Ö≠entlichkeit als Ausländer<br />
zu zeigen. Wir sprachen ausländisch, was anstrengend war, weil<br />
wir abwechslungsreiche Silben und sogar Buchstaben zustande<br />
bringen wollten, sozusagen eine wirkliche Sprache mit möglichen<br />
Bedeutungen. Mit aller Gewalt dachten wir uns in diese<br />
neue Sprache hinein.<br />
Wenn ich nun deutsch rede, denke ich nur deutsch und<br />
falle nicht etwa aus der Sprache heraus. – Ausser, ich rede auf<br />
Deutsch über eine andere Sprache. – Und wenn ich spanisch<br />
oder englisch oder ungarisch formulieren will, bleiben meine<br />
Gedanken ebenfalls innerhalb dieser Sprachen, und falls ich eine<br />
Sprache nur wenig beherrsche, denke ich nur wenig. Man kann,<br />
zumindest vorübergehend, durchaus in einer Sprache geborgen<br />
bleiben und in dieser Sprache denken, dann bleibt man im<br />
Sprachsystem (etwa wie das Wasser in einem Flusssystem bleibt).<br />
Vorübergehend ist das möglich, auf die Dauer wird es aber kaum<br />
jemand scha≠en. Im Gegenteil, es ist eine Leistung, sich auf eine<br />
einzige Sache zu konzentrieren und die Vielzahl von Einfällen<br />
abzuwehren, wobei auch Sprachen Ideen sind, also Einfälle.<br />
Jedenfalls habe ich mehrere Sprachen im Kopf, und ich<br />
kann mir nicht vorstellen, dass es jemandem sehr viel anders geht.<br />
Ich kann mir nicht vorstellen, nur eine Stimme, nur eine Ausdrucksweise<br />
zu kennen und merke oft, dass auch die anderen zwischen<br />
zwei und mehreren Möglichkeiten vergleichen; sie vergleichen<br />
die Sprechweise einer Hamburgerin mit der eines Münchners,<br />
die Aussprache eines Berners mit der einer Baslerin, die<br />
Wortwahl eines alten Lehrers mit der einer blutjungen Sängerin.<br />
Ständig vergleicht jeder, und <strong>für</strong> den Vergleich benötigt man mindestens<br />
zwei Auswahlmöglichkeiten. Einen Vergleich gibt es erst<br />
zwischen zwei Dingen, mit einem einzigen Etwas geht es nicht<br />
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