Heft - Institut für Theorie ith
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Antke<br />
Engel<br />
Doch wo findet sich die Szene, in denen sich<br />
diese Politiken entfalten? Wie entsteht eine<br />
Ö≠entlichkeit, die heterogene, unerwartete<br />
Artikulationen schätzt und o≠en ist <strong>für</strong><br />
unbemerkbares Werden? 15 Oder: «Wie aber<br />
kann man mit dem rechnen, was noch keine<br />
Adresse hat, sich noch nicht als Teil konstituiert<br />
hat, sondern dies erst in der polemischen<br />
Szene des Politischen tun wird?» 16 Auf der<br />
Suche nach der polemischen Szene, die<br />
Raum <strong>für</strong> unbemerkbare Politiken scha≠t –<br />
Raum, so würde ich fordern, sogar ohne dass<br />
diese sich jemals «als Teil» konstituieren<br />
müssen – erweist sich die duale Konstruktion<br />
von Spiegelung und Gespiegeltem als<br />
unbefriedigend. Auf dem Hintergrund der<br />
Überlegungen, die die Zwei als Figur der<br />
Unmenge zu denken trachtet, möchte ich<br />
vorschlagen, eine Dritte Seite des Spiegels<br />
mit ins Spiel zu bringen.<br />
Die<br />
Dritte Seite<br />
des<br />
Spiegels<br />
Stellen wir uns vor, dass der Spiegel eine<br />
absorbierende, eine reflektierende, aber<br />
auch di≠raktierende (ablenkende) Seite hat.<br />
Letztere entdeckt nicht, wer um den Spiegel<br />
herumgeht oder ihn spaltet, sondern wer<br />
zwischen Spiegelung und Gespiegelten einen<br />
Freiraum, eine Unterbrechung, einen Aufschub,<br />
ein Nichts entstehen lässt. Es geht um<br />
eine Bewegung, die zögert, sich von der Spiegelung<br />
einfangen zu lassen, und stattdessen<br />
Interesse <strong>für</strong> die Bedingungen entwickelt,<br />
die die Spiegelung möglich machen. Was<br />
sind Bedingungen der Spiegelung und wie<br />
(ver)führen diese uns zu einer Dritten Seite<br />
des Spiegels? Da wäre zum einen die Spiegelachse,<br />
der Drehpunkt, um den herum sich<br />
eine Doppelung entwickelt, die keine Doppelung<br />
ist. Zum anderen das, was Lacan das<br />
Begehren des Anderen nennt und womit er<br />
darauf verweist, dass wir uns nur durch den<br />
Anderen, im Begehren des Anderen und vermittels<br />
der Bilder / Sprache des Anderen vor<br />
dem Spiegel stehen sehen. 17<br />
15 - Vgl. Hutta, Paradoxical publicness<br />
(wie Anm. 14).<br />
16 - Becker u. a., Unmengen (wie<br />
Anm. 12), S. 10.<br />
17 - Vgl. Jacques Lacan, «Die Bedeutung<br />
des Phallus», Chantal<br />
Creusot u. a. (Übers.), in: ders.,<br />
Schriften, 3 Bde., Norbert Haas<br />
(Hg.), Weinheim / Berlin 1986–<br />
1991, Bd. 2, S. 120–132.<br />
18 - Vgl. Jacques Lacan, «Das Spiegelstadium<br />
als Bildner der Ichfunktion»,<br />
Peter Stehlin<br />
(Übers.), in: ebd., Bd. 1, S. 61–70.<br />
103<br />
Zwei<br />
Der Spiegel ist <strong>für</strong> das psychoanalytische<br />
Denken eine entscheidende Metapher, um<br />
Identifizierungsprozesse zu thematisieren<br />
und Subjektkonstituierung zu denken. Hierbei<br />
steht die Spiegelmetapher jedoch bei<br />
Lacan nicht <strong>für</strong> eine Reflexion dessen, was<br />
sich vor dem Spiegel befindet, sondern <strong>für</strong><br />
die reflektierende Kraft des Anderen. 18 Das<br />
eigene Spiegelbild konfrontiert eine_n mit<br />
Bildern und Phantasien, in die sowohl Bilder<br />
von anderen einfliessen, die im Rahmen psychischer<br />
Identifizierungsprozesse in die eigene<br />
Subjektivität aufgenommen worden sind<br />
(Imago), als auch Bilder d_ Anderen – idealisierte<br />
kulturelle Vorstellungen «männlicher»,<br />
«weiblicher», «schwarzer», «weisser»,<br />
«gesunder», «befähigter» KörperSubjektivität<br />
sowie deren Rückseite, die Horrorvisionen<br />
und Ängste verfehlter Körperlichkeit<br />
oder Geschlechtlichkeit.<br />
Die Dritte Seite des Spiegels ist eine Figur, die<br />
<strong>für</strong> solche Identifizierungsprozesse steht, in<br />
denen die Spiegelung nicht einfach den Anderen<br />
reflektiert, sondern wo Identifizierung<br />
eine «Andersheit de_ Anderen» an das Selbst<br />
herantreten lässt. Donna Haraways Vorschlag,<br />
semiotisch-materielle Prozesse nicht<br />
als Reflektion zu verstehen, sondern die<br />
Di≠raktion hervorzuheben, erscheint mir in<br />
diesem Zusammenhang hilfreich. Denn<br />
Di≠raktion ist laut Haraway ein Prozess, der<br />
keine mechanische Verbindung vordefinierter