Heft - Institut für Theorie ith
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Das Gedicht ist vom «Unheimlichen» durchdrungen und<br />
stellt ganz richtig das wesentlichste Element von Zurbaráns<br />
imaginärer Welt in den Mittelpunkt, nämlich den Dialog von<br />
Tod und Leben. Die Reduktion dieses Dialogs in der figurativen<br />
Konkretisierung stellt nach Aussage des Gedichtes<br />
geradezu die Definition des «Paradigma Zurbarán» dar:<br />
Zwei Nuancen nur, die eine leichenblass, die andre schattenschwarz,<br />
zwei Posen nur, die eine stehend, die andere auf den Knien,<br />
sind dem Künstler genug, zu bannen die ganze Geschichte.<br />
Deux teintes seulement, clair livide, ombre noire;<br />
Deux poses, l’une droite et l’autre à deux genoux,<br />
À l’artiste ont su∞ pour peindre votre histoire.<br />
Die von Gautier geschilderte Reduktion ist eine mehrfache<br />
und betri≠t den Aufbau von Form, Pose und narrativer<br />
Struktur gleichzeitig. Betrachten wir sie etwas genauer.<br />
II<br />
Der Aufbau<br />
Zurbaráns Reduktion auf der narrativen Ebene wird bereits<br />
beim Vergleich mit der Zeichnung von Eugenio Caxes klar.<br />
Abb. 1 / 2<br />
Sie wird aber noch deutlicher und erweist sich als noch<br />
radikaler, betrachtet man sie im literarischen und figurativen<br />
Kontext. Wie bedeutende Studien längst hervorgehoben und<br />
Fachleute wiederholt bemerkt haben, wird der Besuch von<br />
Papst Nikolaus V. in den unterirdischen Gewölben der Basilika<br />
von Assisi im Jahre 1449 in verschiedenen Quellen des 16.<br />
und 17. Jahrhunderts erwähnt, die zumeist der späten Franziskaner-Tradition<br />
angehören. Bei diesem Besuch entdeckten<br />
der Papst und seine Gefolgsleute in der «fünften Stunde der<br />
Nacht», im Schein von Fackeln, hinter einem Gitter den<br />
unverwesten Leichnam des hl. Franziskus. 13 Die Legenden,<br />
die vom Fund des unverwesten Leichnams berichten, erwähnen<br />
in der Regel die nächtliche Stunde der Entdeckung, den<br />
Gang in die unterirdischen Gewölbe, die Fackeln und, in zweiter<br />
Linie, das Erstaunen angesichts des Vorgefundenen.<br />
Während normalerweise – so die Legende – ein<br />
menschlicher Leichnam leblos und in horizontaler Lage<br />
daliegt, befindet sich jener, der in der fünften Stunde einer<br />
Nacht des Jahres 1449 in Anwesenheit des Papstes entdeckt<br />
wurde, in vertikaler Stellung und einem wachen Zustand.<br />
Vertikalität und Wachsein finden sich auch in den ersten<br />
figurativen Umsetzungen der Legende wie z. B. der Kupferstichserie<br />
von Philip Galle Bewundernswerte und beispielhafte<br />
Geschichte des seraphischen hl. Franziskus / D. SERA-<br />
PHICI FRANCISCI TOTIVS EVANGELICAE PERFECTIONIS<br />
EXEMPLARIS ADMIRANDA HISTORIA, die 1587 in Antwerpen<br />
verö≠entlicht worden war. 14 Eine genauere Untersuchung<br />
dieser Kupferstiche, die mit Inschriften versehen sind und<br />
zweifellos entscheidend zur Verbreitung der Legende beigetragen<br />
haben, soll uns hier weiterführen.<br />
Die Geschichte des hl. Franziskus wird in 19 Vignetten<br />
erzählt. Die Vignette Nr. 17, die die Entdeckung des<br />
unverwesten Leichnams von Franziskus schildert, ist wie zu<br />
erwarten eine der letzten des Zyklus’. Abb. 8 Auch sie enthält<br />
wie alle anderen einen titulus und eine Inschrift. Im rechten<br />
Teil der Vignette ist der Abstieg ins unterirdische Gewölbe<br />
abgebildet, während im linken Teil das Au∞nden des Leichnams<br />
zu sehen ist. Die Gestalt im Hintergrund neben der<br />
o≠enen Türe hat eine doppelte Funktion: Sie teilt das Bild in<br />
zwei verschiedene Räume auf und thematisiert gleichzeitig<br />
das Erstaunen bei der Entdeckung des Leichnams. Dieses<br />
Erstaunen wird vom titulus der gesamten Szene als Motto<br />
vorangestellt: «der höchst erstaunliche Zustand des Leichnams<br />
des hl. Franziskus» / «PERMIRA FVNERIS S. FRANCISCI<br />
CONSTITVTIO». 15<br />
Die Darstellung des unverwesten Leichnams erfolgt<br />
mittels einer ra∞nierten Strategie der Abgrenzung, ja der<br />
Auszeichnung: Der privilegierte Platz, an dem der aufrechte<br />
Leichnam des Heiligen steht, ist gekennzeichnet durch ein<br />
kleines Podest, umgeben von einer Balustrade. Die Vertikalität<br />
des aufrecht stehenden Leichnams wird akzentuiert durch<br />
die beiden liegenden Truhen im Hintergrund; die Intensität<br />
der Präsenz und die aussergewöhnliche Tugend des Heiligen<br />
werden angedeutet und hervorgehoben durch den Heiligenschein<br />
um sein Haupt, dessen Licht vor dem Hintergrund<br />
einer dunklen Nische erstrahlt. Zu Füssen des aufrechten<br />
Leichnams kniet der Papst; seine Tiara hat er vor dem Podest<br />
auf den Boden gelegt. Um das Verständnis der Szene zu<br />
erleichtern und jeden Zweifel auszuschliessen, wird das<br />
Geschehen in einer langen Inschrift am unteren Bildrand<br />
detailliert erklärt. Der Inhalt dieser Inschrift lenkt jedoch das<br />
Thema des titulus in eine andere Richtung: Anstatt vom<br />
«erstaunlichen Leichnam» des hl. Franziskus ist nun die Rede<br />
von der Beziehung des Papstes zu diesem Leichnam:<br />
«Papst Nikolaus V. begab sich im Jahre 1449 in die Krypta, wohin<br />
der Leichnam des hl. Franziskus gebracht worden war. Der Papst<br />
sah, dass der geweihte Leichnam aufrecht dastand mit zum Himmel<br />
erhobenen Augen und dass von den Wunden an Füssen und<br />
Händen, die er mit Küssen bedeckte, frisches Blut tro≠. Er sah<br />
ebenfalls die Särge mit den unverwesten Leichnamen seiner<br />
Gefährten.» 16<br />
Das Geschehen in diesem Text spielt sich in Anwesenheit<br />
von mehreren Zeugen ab und hat zwei Protagonisten: den hl.<br />
Franziskus – oder genauer: seinen Leichnam – und den<br />
Papst. Ihre Begegnung wird nach dem Schema einer alten<br />
Geschichte geschildert, nämlich der Geschichte von der<br />
Begegnung der drei Lebenden mit den drei Toten. 17 Der<br />
Akzent wird hier allerdings leicht verschoben: Philip Galle<br />
und seinen Gehilfen geht es nicht um die Reflexion über die<br />
Eitelkeit der Dinge auf Erden wie in jener alten Geschichte,<br />
sondern vielmehr um eine Reflexion über die Macht. Die erste<br />
Form von Macht ist hier zugleich die höchstmögliche aller<br />
möglichen Mächte (der Pleonasmus ist gewollt), nämlich die<br />
Macht des Lebens über den Tod. Symbolisiert wird diese<br />
Macht durch den aufrecht stehenden Leichnam, der blutet<br />
und von Licht umstrahlt wird und somit eine resistente,<br />
durch nichts zu erschütternde Entität bildet. Die zweite<br />
Form von Macht ist präsent in der Figur des Kirchen<strong>für</strong>sten,<br />
der in einer dankbaren und akzeptierenden Haltung<br />
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