AnwBl_2013-06_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...
AnwBl_2013-06_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...
AnwBl_2013-06_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Gemeinsames Europäisches Kaufrecht<br />
Anders als nach österreichischem Recht ist im Falle<br />
eines Irrtums nur die Vertragsanfechtung vorgesehen,<br />
die zur ex-tunc Unwirksamkeit des Vertrags führt<br />
(Art 54 Abs 1 GEKR); abgeschwächt wird diese Regelung<br />
durch die Möglichkeit einer bloßen Teilanfechtung,<br />
wenn sich der Irrtum nur auf einzelne Vertragsbestimmungen<br />
bezieht und es nicht unangemessen ist,<br />
den Vertrag im Übrigen aufrechtzuerhalten (Art 54<br />
Abs 2 GEKR). Eine Vertragsanpassung, wie sie nach<br />
österreichischem Recht bei unwesentlichen Irrtümern<br />
vorgesehen ist, ist im GEKR hingegen nicht vorgesehen.<br />
Dementsprechend sieht das GEKR eine Anfechtung<br />
nur bei einem wesentlichen Irrtum vor, nämlich,<br />
wenn die irrende Partei den Vertrag, wäre sie dem Irrtum<br />
nicht unterlegen, nicht oder nur mit grundlegend<br />
anderen Vertragsbestimmungen abgeschlossen hätte<br />
und überdies nur dann, wenn diesen Umstand die andere<br />
Vertragspartei wusste oder hätte wissen müssen<br />
(Art 48 Abs 1 lit a GEKR): Unwesentliche Irrtümer<br />
sind daher nach dem GEKR rechtlich irrelevant: ein<br />
vom anderen Vertragspartner verschuldeter unwesentlicher<br />
Irrtum dürfte wohl nicht einmal zur Schadenersatzpflicht<br />
führen, weil Art 55 GEKR das Recht zum<br />
Schadenersatz an das Recht zur Vertragsanfechtung<br />
knüpft. Die Sachgerechtheit dieser Regelung kann bezweifelt<br />
werden.<br />
Hinsichtlich der weiteren Anfechtungsvoraussetzungen<br />
entspricht das GEKR im Wesentlichen § 871<br />
ABGB: Ein Irrtum berechtigt danach nur zur Anfechtung,<br />
wenn der Irrtum vom Anderen (insb durch Verletzung<br />
vorvertraglicher Informationspflichten) verursacht<br />
wurde (Art 48 Abs 1 lit b i] und ii] GEKR) oder<br />
der Andere von dem Irrtum wusste oder wissen<br />
musste, also wohl iS der ABGB-Terminologie „offenbar<br />
auffallen musste“ (Art 48 Abs 1 lit b iii] GEKR, wobei<br />
diese Bestimmung unnötig kompliziert formuliert<br />
ist). 35) So wie nach der OGH-Rsp 36) ist auch der gemeinsame<br />
Irrtum nach Art 48 Abs 1 lit b iv) GEKR<br />
anfechtbar; anders als nach § 871 ABGB berechtigt<br />
aber der rechtzeitig aufgeklärte Irrtum nicht zur Anfechtung:<br />
dies sollte ebenfalls bis zur Endfassung des<br />
GEKR noch überdacht werden.<br />
Das Irrtumsanfechtungsrecht des GEKR ist daher einerseits,<br />
nämlich bei den zur Anfechtung berechtigenden<br />
Arten des Irrtums, deutlich weiter als das österreichische<br />
Recht, bei den Anfechtungsvoraussetzungen,<br />
und weil nur wesentliche Irrtümer erfasst sind, jedoch<br />
enger als das österreichische Recht, und – wegen der<br />
fehlenden Anpassungsmöglichkeit – auch weniger flexibel.<br />
Insgesamt wird aber – weil auch Motiv- und<br />
Rechtsirrtümer zur Anfechtung berechtigen und aufgrund<br />
der umfangreichen vorvertraglichen Aufklärungspflichten,<br />
deren Verletzung ebenfalls zur Irrtums-<br />
(allenfalls auch zur Arglist-)Anfechtung berechtigt –<br />
unter dem GEKR wohl eine deutlich größere Bedeutung<br />
zukommen als nach geltendem österreichischem<br />
Recht – und damit zu einer geringeren Bestandsfestigkeit<br />
von Verträgen führen.<br />
Die Irrtumsanfechtungsfrist ist im Vergleich zum<br />
österreichischen Recht gänzlich unterschiedlich geregelt<br />
und beträgt (nur) sechs Monate, aber nicht gerechnet<br />
ab Vertragsabschluss, sondern ab Kenntnis<br />
der anfechtenden Partei von den maßgebenden Umständen<br />
(Art 52 Abs 2 GEKR), längstens innerhalb<br />
von zehn Jahren (vgl Art 179 f GEKR). Geltend gemacht<br />
wird die Anfechtung durch eine (formfreie) Mitteilung<br />
an den anderen Vertragspartner (Art 52 Abs 1<br />
GEKR).<br />
Bei erfolgreicher Anfechtung ist der Vertrag rückabzuwickeln;<br />
insofern verweist Art 54 Abs 3 GEKR auf<br />
Kapitel 17 des GEKR, der allgemeine Regeln für die<br />
Rückabwicklung von Verträgen, auch wegen Nichterfüllung,<br />
vorsieht. Danach sind grundsätzlich die erbrachten<br />
Leistungen wechselseitig zurückzustellen, ist<br />
Naturalleistung nicht möglich, ist Geldersatz (und zwar<br />
in Höhe des Wertes der [wie zu unterstellen ist] unbeschädigten<br />
und nicht untergegangenen Sache zum<br />
Zeitpunkt der Geldleistung, bei Rückabwicklung infolge<br />
Irrtumsanfechtung daher zum Anfechtungszeitpunkt)<br />
zu leisten (Art 172 f GEKR); unter bestimmten<br />
Voraussetzungen (vgl näher Art 174 GEKR) ist auch<br />
eine Nutzungsvergütung zu bezahlen bzw besteht<br />
für den Anfechtenden Anspruch auf Aufwandsersatz<br />
für auf die Waren gemachte Aufwendungen (vgl näher<br />
Art 175 GEKR).<br />
Neben und anstelle der Anfechtung steht dem irrenden<br />
Vertragspartner auch Schadenersatz zu, sofern<br />
der andere Vertragspartner die maßgebenden Umstände<br />
kannte oder kennen musste (Art 55 GEKR).<br />
Das GEKR enthält (anders § 875 ABGB, und anders<br />
auch noch Feasibility Study, DCFR und PECL) keine<br />
Regelung über die Herbeiführung eines Willensmangels<br />
durch Dritte; auch dies sollte noch überdacht werden.<br />
37)<br />
3. Drohung, Arglist, unfaire Ausnutzung<br />
Eine arglistige Täuschung liegt vor bei einer Täuschung<br />
in dem Wissen oder in der Annahme, dass es<br />
sich um die Unwahrheit handelt oder leichtfertig hinsichtlich<br />
Wahrheit oder Unwahrheit begangen wird,<br />
und sie in der Absicht geschieht, den Empfänger zu einem<br />
Irrtum zu veranlassen; ein Verschweigen ist arglistig,<br />
wenn es in der Absicht geschieht, Informationen<br />
vorzuenthalten, um die andere Person zu einem Irrtum<br />
35) Vgl Lurger, Zustandekommen eines bindenden Vertrags (Teil II CESL-<br />
Entwurf), in Wendehorst/Zöchling-Jud (Hrsg), Am Vorabend eines<br />
Europäischen Kaufrechts – Zum Verordnungsentwurf der Europäischen<br />
Kommission vom 11. 10. 2011, 81.<br />
36) OGH 7 Ob 136/10 s; 1 Ob23/04 w; 1 Ob 34/98 a.<br />
37) Ebenso S.A. E. Martens, Einigungsmängel im EU-Kaufrecht, in<br />
Schmidt-Kessel (Hrsg), Ein einheitliches europäisches Kaufrecht?<br />
Eine Analyse des Vorschlags der Kommission 192 ff.<br />
Österreichisches Anwaltsblatt <strong>2013</strong>/<strong>06</strong><br />
Vertragsabschluss nach dem GEKR/CESL<br />
Autor: RA Hon.-Prof. Mag. Dr. Peter Csoklich, Wien<br />
343