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AnwBl_2013-06_Umschlag 1..4 - Österreichischer ...

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Abhandlung<br />

tigen Zivilverfahren und nach der StPO kein Anwendungsbereich.<br />

19)<br />

§ 1 Abs 2 Satz 1 RATG 1969 für Zivilverfahren einerseits<br />

und Strafverfahren andererseits unterschiedlich<br />

auszulegen, kommt mE nicht in Betracht. Entweder<br />

ist also eine der beiden Rechtsprechungslinien (im<br />

Ergebnis oder in der Begründung) unrichtig oder § 1<br />

Abs 2 Satz 1 RATG 1969 ist auf Strafverfahren, auch<br />

wenn es sich um eine Privatanklage oder -beteiligung<br />

handelt, nicht anwendbar. Aufschluss über den Gehalt<br />

und die Reichweite des heutigen § 1 Abs 2 Satz 1<br />

RATG 1969 sowie sein Verhältnis zu den Kostenersatzbestimmungen<br />

der verschiedenen Verfahrensordnungen<br />

bietet seine Entstehungsgeschichte.<br />

2. Genese des § 1 Abs 2 RATG 1969<br />

Die Wurzeln des heutigen § 1 Abs 2 Satz 1 RATG liegen<br />

in der Tarifverordnung 1897, 20) die auf Basis des<br />

Advocatentarif-Gesetzes 1890 21) erging. Sie enthielt in<br />

§ 17 leg cit unter der Überschrift „Entlohnung des Advocaten<br />

in eigener Rechtssache“ folgende Anordnung:<br />

„Ein Advocat kann in seiner eigenen Rechtssache die einem<br />

bevollmächtigten Advocaten zukommenden Gebüren<br />

von der kostenersatzpflichtigen Gegenpartei beanspruchen.“<br />

Damit kam deutlich zum Ausdruck, dass es sich um<br />

eine selbständige – freilich nur im Verordnungsrang<br />

stehende 22) – Kostenersatzregel handelte: Der Rechtsanwalt<br />

in eigener Sache war im Ergebnis wie ein „bevollmächtigter<br />

Advocat“ zu behandeln (vgl auch § 7<br />

dRAGebO 1879; 23) später § 91 Abs 2 Satz 3 bzw 4<br />

dZPO). 24) In ihrer Stammfassung war diese Bestimmung<br />

wohl nur auf Zivilrechtssachen anwendbar; 25)<br />

die Tarifverordnung 1897 nimmt auf „streitige“, „Executions-(Sicherungs-)“,<br />

„außerstreitige“ (§§ 5, 8, 19 leg<br />

cit) sowie „schiedsgerichtliche“ (§ 20 leg cit) Verfahren,<br />

nicht aber auf Strafverfahren Bezug.<br />

Der Rechtssatz des § 17 Tarifverordnung 1897<br />

wurde mit der Tarifverordnung 1909 26) und schließlich<br />

mit der Vollzugsanweisung 1920 27) im Kern unverändert<br />

fortgeschrieben (in Folge: Tarifverordnung<br />

1909/1920); 1909 kam es bloß zu orthografischen Anpassungen,<br />

1920 hat man den Ausdruck „Advokat“<br />

durch „Rechtsanwalt“ ersetzt. Seit 1909 fanden „die<br />

Tarifposten“ jedoch auch auf „Leistungen im Strafverfahren“<br />

Anwendung (§ 1 Abs 2 Tarifverordnung 1909/<br />

1920). Unsicherheit herrschte darüber, ob damit § 17<br />

Tarifverordnung 1909/1920 auf Strafverfahren erstreckt<br />

worden war. Anders als etwa Klar 28) ging jedenfalls<br />

der OGH davon aus, dass § 17 leg cit „nur Zivilrechtssachen<br />

(. . .) im Auge hat“. 29)<br />

Gewissheit brachte diesbezüglich das RATG 1923, 30)<br />

mit dem das Tarifrecht auf eine neue Rechtsgrundlage<br />

gestellt wurde; sein § 4 Abs 2 lautete wie folgt:<br />

„In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gebührt dem Rechtsanwalte<br />

die tarifmäßige Entlohnung auch dann, wenn ihm<br />

in seiner eigenen Rechtssache Kosten vom Gegner zu ersetzen<br />

sind.“<br />

Damit hat man den Rechtssatz aus § 17 Tarifverordnung<br />

1897/1909/1920 übernommen; seine Begrenzung<br />

auf bürgerliche Rechtssachen stand nunmehr außer<br />

Streit. Neben dieser Klarstellung wurde die Kostenersatzregel<br />

aber auch gezielt in den Gesetzesrang gehoben.<br />

Die dahinterstehende Absicht des Gesetzgebers<br />

lässt sich anhand der Materialien zweifelsfrei feststellen:<br />

31) „Die Vorschrift des § 4, Abs 2, wonach der<br />

Rechtsanwalt in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten den<br />

Ersatz der Anwaltskosten auch dann verlangen kann,<br />

wenn er seine eigene Sache führt, gilt schon seit einem<br />

Vierteljahrhundert. Sie stand bisher in § 17 der Tarifverordnung.<br />

Da es aber immerhin zweifelhaft sein<br />

kann, ob es sich dabei um eine reine Tarifvorschrift<br />

und nicht um eine Abweichung von dem Grundsatze<br />

19) Kritisch daher Kornfeld, MR 1992, 17 („führt . . . kerzengerade ins<br />

Nichts“); anders Schmidt, ÖBl 1993, 7.<br />

20) Verordnung des Justizministers, durch welche auf Grund des Gesetzes<br />

v 26. 3. 1890 (RGBl 1890/58) für die Entlohnung der in diesem<br />

Gesetze bezeichneten Leistungen der Advocaten und ihrer Kanzleien<br />

ein Tarif erlassen wird, RGBl 1897/293. Die erste Tarifverordnung<br />

1890 (RGBl 1890/129) und jene Verordnungen, mit denen sie modifiziert<br />

bzw ihr räumlicher Anwendungsbereich erweitert wurde (RGBl<br />

1891/116, 1892/59, 1892/82), enthielten noch keine Bestimmung<br />

über den Rechtsanwalt in eigener Sache; vgl Klar, GZ 1928, 369.<br />

21) Gesetz, wodurch der Justizminister ermächtigt wird, bezüglich solcher<br />

Leistungen der Advocaten und ihrer Kanzleien im gerichtlichen<br />

Verfahren, welche wegen ihrer Einfachheit und Wiederkehr eine<br />

durchschnittliche Bewertung zulassen, einen Tarif im Verordnungswege<br />

zu erlassen, RGBl 1890/58.<br />

22) Zweifel an einer hinreichenden Rechtsgrundlage lässt Klar (GZ 1928,<br />

369) erkennen; zum Problem der Verdrängung des im Gesetzesrang<br />

stehenden Kostenersatzrechts durch eine Bestimmung im Verordnungsrang<br />

s bei FN 32.<br />

23) § 7 Gebührenordnung für Rechtsanwälte (dRGBl 1879, 176): „Bei<br />

dem Betrieb eigener Angelegenheiten kann der Rechtsanwalt von<br />

dem zur Erstattung der Kosten des Verfahrens verpflichteten Gegner<br />

Gebühren und Auslagen bis zu dem Betrage fordern, in welchem er<br />

Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet<br />

verlangen könnte.“<br />

24) § 91 Abs 2 Satz 4 dZPO idF dBGBl I 1957, 861, später § 91 Abs 2<br />

Satz 3 dZPO idF dBGBl I 2004, 718: „In eigener Sache sind dem<br />

Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren<br />

und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet<br />

verlangen könnte.“<br />

25) Die Verhandlungen über einen Tarif wurden schon lange vor 1890<br />

geführt; vgl StenProtHH 47. Sitzung der 4. Session (4. 6. 1868)<br />

1929 (Hervorhebung hinzugefügt): „Bei dem Abgange eines Uebereinkommens<br />

soll in Civilstreitigkeiten das Maß der Entlohnung für<br />

den Zeitaufwand und für die Mühewaltung des Advocaten, soweit<br />

es möglich ist, durch einen Tarif geregelt werden“; vgl auch ErläutRV<br />

537 BlgAH 10. Session 1, 3.<br />

26) Verordnung des Justizministers v 3. 6. 1909 über einen neuen Advokatentarif,<br />

RGBl 1909/82.<br />

27) Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Justiz v 11. 3. 1920 über den<br />

Rechtsanwaltstarif, StGBl 1920/109.<br />

28) Klar, GZ 1928, 369.<br />

29) So das vom OGH zustimmend zitierte OLG Graz als Unterinstanz zu<br />

OGH 16. 11. 1911, Kr VI 164/11 KH 3.888.<br />

30) BG v 4. 6. 1923, betreffend den Rechtsanwaltstarif, BGBl 1923/305.<br />

31) ErläutRV 1429 BlgNR 1. GP 2.<br />

358<br />

Kostenersatzanspruch des Rechtsanwalts in eigener (Straf-)Sache<br />

Autor: Ass.-Prof. Dr. Andreas Geroldinger, Linz<br />

Österreichisches Anwaltsblatt <strong>2013</strong>/<strong>06</strong>

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