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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 28.07.2014 (Vorschau)

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FOTOS: BULLS/CATERS UK, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

EUROPA<br />

Frau, Sozialdemokratin<br />

Die Wahl einer Hohen Beauftragten für Außenpolitik bietet die Chance<br />

zu einem Neustart der europäischen Außenpolitik. Wird sie genutzt?<br />

In knapp sieben Minuten sagte Frans Timmermans<br />

alles, was gesagt werden musste.<br />

Vergangene Woche beschrieb der<br />

niederländische Außenminister im UN-<br />

Sicherheitsrat in bewegenden Worten die<br />

Trauer, Wut und Verzweiflung seiner<br />

Landsleute nach dem Abschuss des zivilen<br />

Flugzeuges MH17 über der Ukraine. Der<br />

Sicherheitsrat verurteilte einstimmig den<br />

Vorfall – auch mit der Stimme Russlands.<br />

Timmermans, 53 Jahre alt und Sozialdemokrat,<br />

wäre eine ziemlich gute Besetzung<br />

für den bald vakanten Posten des<br />

Europäischen Außenvertreters. Der Niederländer<br />

spricht sechs Sprachen, darunter<br />

Russisch. Moskau und Brüssel kennt<br />

er aus Stationen seiner Diplomatenkarriere.<br />

Doch bei der Nachfolge von Europas<br />

Oberdiplomatin Catherine Ashton steht<br />

ihm sein Geschlecht im Weg. Gesucht<br />

wird derzeit eine Frau aus dem sozialdemokratischen<br />

Lager, aus „Imagegründen<br />

für Europa“, wie der französische Staatspräsident<br />

François Hollande sagt.<br />

STARKER AKTEUR<br />

Noch gibt es Hoffnung, dass diesmal das<br />

reine Proporzdenken hinten angestellt<br />

wird, das vor fünf Jahren eine unerfahrene<br />

Politikerin ins Amt brachte, die schlicht<br />

die drei Minimalanforderungen weiblich,<br />

britisch und sozialdemokratisch erfüllte.<br />

In Brüssel und auch den nationalen<br />

Hauptstädten wächst die Einsicht, dass<br />

die direkte Nachbarschaft der EU weit<br />

mehr Konfliktherde aufweist als bei der<br />

vorhergehenden Personalsuche. „Europa<br />

befindet sich in der exponiertesten und<br />

gefährlichsten Lage im Süden und Osten,<br />

an die ich mich erinnern kann“, sagt etwa<br />

der schwedische Außenminister Carl<br />

Bildt. Der künftige EU-Kommissionspräsident<br />

Jean-Claude Juncker ist nur einer<br />

von vielen, der in diesen Tagen einen<br />

„starken, erfahrenen Akteur“ auf dem<br />

Außen-Posten fordert.<br />

In der Vergangenheit hat sich die EU-<br />

Außenpolitik immer nur auf externen<br />

Druck hin entwickelt. „Bedrohungen von<br />

außen und Krisen waren immer der entscheidende<br />

Faktor“, sagt Analyst Stefan<br />

Lehne <strong>vom</strong> Thinktank Carnegie Europe,<br />

selbst lange im österreichischen diplomatischen<br />

Dienst. So reagierte die EU in den<br />

Der Ehrgeiz hält sich in Grenzen<br />

EU-Politiker Ashton (links), Barroso<br />

»Europa befindet<br />

sich in einer<br />

gefährlichen und<br />

exponierten Lage«<br />

Carl Bildt, Außenminister von Schweden<br />

Neunzigerjahren mit einer Gemeinsamen Sicherheits-<br />

und Außenpolitik (GASP) auf den<br />

Balkankrieg. Damals entschieden sich die<br />

Staats- und Regierungschefs für eine gewichtige<br />

Figur als GASP-Chef: den ehemaligen<br />

Nato-Generalsekretär Javier Solana.<br />

„Mit ihrer Personalauswahl werden die<br />

Staats- und Regierungschefs ein klares<br />

Zeichen geben, welchen Ehrgeiz sie in der<br />

Außenpolitik verfolgen“, sagt Lehne. Als es<br />

vor drei Jahren um den arabischen Frühling<br />

ging, war der Ehrgeiz nicht gerade groß. Damals<br />

verdrängte die Euro-Krise alle anderen<br />

Themen. Nachdem die EU das aktive Krisenmanagement<br />

hinter sich gelassen hat,<br />

können sich Staats- und Regierungschefs<br />

nun verstärkt Internationalem widmen.<br />

Zumal dem neuen EU-Kommissionspräsidenten<br />

Juncker ohnehin ein Neustart<br />

in der Außenpolitik vorschwebt: „Nach<br />

meiner Überzeugung können wir uns nicht<br />

damit zufriedengeben, wie unsere gemeinsame<br />

Außenpolitik bislang funktioniert.“<br />

Er will die EU-Politikbereiche wie<br />

Handel, Entwicklung, humanitäre Hilfe<br />

und Nachbarschaftspolitik stärker in die<br />

Außenpolitik integrieren. EU-Kommissionspräsident<br />

José Manuel Barroso hat<br />

dies bisher hintertrieben, weil er fürchtete,<br />

die Kommission könnte dabei Kompetenzen<br />

an den Europäischen Außendienst<br />

verlieren. Die magere Bilanz von Catherine<br />

Ashton geht nicht nur auf ihr eigenes<br />

Konto.<br />

FRÜHERE WELTMÄCHTE<br />

Ob der Neustart der EU-Außenpolitik gelingt,<br />

hängt entscheidend von den Mitgliedsländern<br />

ab, allen voran den großen.<br />

Von denen zeigte sich bisher nur Deutschland<br />

dem Projekt gegenüber wohlwollend.<br />

„Frankreich und Großbritannien sind frühere<br />

Weltmächte, in denen die eigene Außenpolitik<br />

zur nationalen Identität gehört“,<br />

beobachtet Analyst Lehne.<br />

Kompetenzen abzugeben fällt beiden Ländern<br />

schwer, zumal Großbritannien gerade<br />

nicht weiß, in welchem Verhältnis es<br />

zur EU überhaupt steht. Die alte Macht<br />

bröckelt allerdings: Beide Länder haben<br />

heute international weniger Einfluss als<br />

noch vor einem Jahrzehnt. Und so dürften<br />

sie bald größeres Interesse an einem gemeinsamen<br />

europäischen Vorgehen auf<br />

der internationalen Bühne haben.<br />

Ein erstes Indiz für ein Umdenken<br />

könnte Frankreichs Interesse am Außenposten<br />

sein. Offenbar ist Präsident Hollande<br />

sogar bereit, seinen bisherigen<br />

Kommissionskandidaten Pierre Moscovici<br />

zu opfern, um der früheren Europaministerin<br />

Elisabeth Guigou ims Amt zu verhelfen.<br />

Aktuell leitet die 67-Jährige den auswärtigen<br />

Ausschuss im französischen<br />

Parlament. Doch es gibt noch andere Anwärterinnen.<br />

Emma Bonnino, frühere italienische<br />

Außenministerin und als EU-<br />

Kommissarin einst für humanitäre Hilfe<br />

zuständig, hat ebenfalls Chancen. Eine<br />

Vertreterin eines großen Landes hätte zudem<br />

automatisch mehr Gewicht auf dem<br />

internationalen Parkett. Ex-Diplomat Lehne:<br />

„Das ist so – auch wenn es politisch<br />

nicht korrekt ist.“<br />

n<br />

silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 23<br />

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