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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 28.07.2014 (Vorschau)

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Einblick<br />

Die Konflikte am Rande Europas lassen sich nicht<br />

länger ignorieren. Sie bedrohen Frieden und Wohlstand<br />

auch in unserem Land. Von Franz W. Rother<br />

Das Ende der Idylle<br />

FOTO: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

In Berlin werden antisemitische Parolen<br />

skandiert und Touristen aus Israel traktiert<br />

– von Palästinensern, die in<br />

Deutschland leben und zusammen mit<br />

deutschen Linken und Rechtsextremen gegen<br />

Israels Vorgehen im Gaza-Streifen demonstrieren.<br />

Deutsche kämpfen im Irak in<br />

der Terror-Gruppe Isis, unsere Truppen<br />

stehen in Afghanistan und in der Türkei an<br />

der Grenze zu Syrien. Und unter den 298<br />

Menschen, die beim Abschuss von Flug<br />

MH17 starben, waren auch Deutsche: Die<br />

Kriege im Nahen Osten, in der Ukraine und<br />

am Hindukusch haben längst auch unser<br />

Land erreicht, ja ziehen durch unsere Gesellschaft<br />

eine Trennlinie – hier die Putin-<br />

Versteher, dort die Russland-Kritiker; hier<br />

die Freunde Israels, dort die Freunde Palästinas,<br />

hier die Friedensaktivisten, dort die<br />

Hardliner und Realisten. Über 400 (!) bewaffnete<br />

Konflikte gibt es derzeit in der<br />

Welt – und Europa erscheint uns immer<br />

noch wie eine Insel des Friedens, Deutschland<br />

ein Idyll. Unwillkürlich kommt einem<br />

die berühmte Sequenz aus Goethes Faust<br />

in den Sinn, in der der Dichterfürst in „Vor<br />

dem Tor“ den ignoranten Kleinbürger beschrieb:<br />

„Nichts bessers weiß ich mir an<br />

Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von<br />

Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten,<br />

weit, in der Türkei die Völker aufeinander<br />

schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein<br />

Gläschen aus und sieht den Fluss hinab die<br />

bunten Schiffe gleiten; dann kehrt man<br />

abends froh nach Haus, und segnet Fried’<br />

und Friedenszeiten.“<br />

Die Deutschen haben danach lange gehandelt.<br />

Wochenlang fokussierten wir uns<br />

auf die Schlachten im Stadion, die Kriege<br />

ließen wir allenfalls in der Halbzeitpause an<br />

uns heran. Und jenseits der Fußballweltmeisterschaft<br />

erhitzten sich die Diskussionen<br />

an deutschen Stammtischen und in<br />

TV-Talkrunden noch eher über die Autobahnmaut<br />

und den NSA-Abhörskandal als<br />

über das anhaltende Blutvergießen in Syrien,<br />

im Irak und Libyen.<br />

Die Kämpfe um Donezk und Damaskus,<br />

die Angriffe auf Tel Aviv und Tal Afar, die<br />

Schießereien in Ghardaia und Tripolis mögen<br />

Tausende Kilometer weit entfernt sein.<br />

Doch der Schlachtenlärm kommt immer<br />

näher, die Auswirkungen der Konflikte bekommen<br />

wir (in der harmlosesten Form)<br />

schon zu spüren. Sei es, dass Flugverbindungen<br />

gestrichen werden, sei es, dass in<br />

unseren Städten Notunterkünfte hochgezogen<br />

werden für Menschen aus Syrien und<br />

Somalia, dem Irak und Algerien, die vor<br />

Krieg und Zerstörung, vor Armut und Perspektivlosigkeit<br />

unter Lebensgefahr ins reiche<br />

und ruhige Europa geflüchtet sind.<br />

Es zeigt sich immer deutlicher, schreibt<br />

unser Auslandskorrespondent Florian Willershausen,<br />

„dass man es sich nicht länger<br />

als friedfertige Handelsmacht in einer multipolaren<br />

Welt bequem machen kann, sondern<br />

Verantwortung für die Krisenlösung<br />

übernehmen muss“ (ab Seite 18). Das gilt<br />

für den Nahen Osten ebenso wie für den<br />

Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.<br />

Wegducken gilt nicht mehr, wegschauen<br />

ist nicht mehr möglich.<br />

DEUTSCHLAND IM DILEMMA<br />

Wirtschaft und Politik in Deutschland stecken<br />

allerdings in einem Dilemma. Einerseits<br />

möchte man vermitteln, würde hier<br />

und da auch einmal gerne Kante zeigen.<br />

Andererseits fürchtet man Gegenschläge<br />

Russlands, eine Drosselung der Gaslieferungen<br />

oder eine Verstaatlichung von Werken<br />

deutscher Investoren. Europäische<br />

Werte, war der Eindruck, gelten nichts<br />

mehr, wenn es ums Geldverdienen geht.<br />

Die Sanktionen gegen Russland blieben bislang<br />

auch zahnlos, weil eine gemeinsame<br />

EU-Außenpolitik derzeit nicht zustande<br />

kommt: Zunächst muss erst einmal geklärt<br />

werden, wie viele Frauen der neuen EU-<br />

Kommission angehören.<br />

Helfen könnte vor dem Hintergrund ein<br />

stärkeres Engagement der deutschen Wirtschaft,<br />

eine Intensivierung etwa der Gespräche<br />

mit den Oligarchen in Russland wie in<br />

der Ukraine – und eine eindeutige Bestimmung<br />

der eigenen Position. Immerhin will<br />

der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft<br />

nun harte Sanktionen gegen Russland unterstützen,<br />

auch wenn es schmerzhaft werde.<br />

Das ist ein gutes Signal. Es fragt sich nur,<br />

wie lange der Mut den Zweifel schlägt. n<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 5<br />

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