28.07.2014 Aufrufe

Wirtschaftswoche Ausgabe vom 28.07.2014 (Vorschau)

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Perspektiven&Debatte<br />

»<br />

duziert es mit 1800 Beschäftigten weltweit<br />

elektromechanische Antriebe und Getriebe,<br />

die unter anderem im Airbus A380<br />

mitfliegen. Stephan Bug, Leiter Fertigung<br />

Elektronik am Standort Harthausen, sechs<br />

Kilometer von Igersheim entfernt, verkauft<br />

große Ziele mit der Sachlichkeit des Ingenieurs:<br />

Umsatzverdoppelung in fünf Jahren,<br />

15 Prozent Wachstum jährlich. Dazu<br />

braucht es Mitarbeiter, die in der neu eröffneten<br />

Innovationsfabrik Bauteile entwickeln,<br />

konstruieren und zusammenbauen.<br />

Flexibilität ist hier Programm: Schreibtische<br />

wie Werkbänke lassen sich auf Rollen<br />

zu neuen Einheiten verschieben, je nachdem,<br />

was ein neues Projekt benötigt.<br />

Ein kurzer Weg ist es hinauf zur Innovationsfabrik<br />

von dem älteren Bürotrakt, in<br />

dessen Entree Pop-Art von James Rizzi<br />

hängt. Im Hof bietet ein botanischer Garten<br />

mit Pflanzen aus allen Ländern, in denen<br />

Wittenstein vertreten ist, Entspannung.<br />

Mehrmals die Woche wird er von einem<br />

Gärtner gepflegt – eine Idylle, die die<br />

Mitarbeiter genießen können, während sie<br />

sich über ihre Laptops beugen. Geworben<br />

werden sie mit einem blauen Sofa auf Jobmessen.<br />

„Pioniere zu uns“ steht da drauf.<br />

Bug ist sich sicher, dass das Unternehmen<br />

viel zu bieten hat: „Hier bekommen sie einen<br />

Überblick über das ganze Produkt<br />

nicht nur einen Teil.“<br />

HOCHREGALLAGER AM HORIZONT<br />

Der Bürgermeister von Igersheim, Frank<br />

Menikheim, begleitet den Rundgang. Er ist<br />

stolz auf eine Gemeinde, der es gelungen<br />

ist, sämtlichen Abgängern der Hauptschule<br />

einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu<br />

vermitteln. Probleme, wie sie Menschen<br />

aus den Ballungszentrum kennen, tauchen<br />

in Igersheim nicht auf. Ob denn bei so viel<br />

benötigten Arbeitskräften auch die Versorgung<br />

mit Kindergartenplätzen bis in den<br />

Raum für Ruhe Historisches Fachwerk trifft<br />

auf nüchterne Nachkriegsarchitektur<br />

High Tech auf der grünen Wiese Die Innovationsfabrik von Wittenstein<br />

Abend gewährleistet sei? „Dafür gibt es<br />

hier keinen Bedarf“, sagt Menikheim.<br />

Wer an einem Mittwoch gegen 16 Uhr<br />

zur Außenstelle Bad Mergentheim des<br />

Schraubenimperiums Würth fährt, ahnt,<br />

warum:Die Mitarbeiter verlassen in großer<br />

Zahl das Gelände in Richtung Heimat, vorbei<br />

an den großen Transparenten, die an<br />

der Zufahrtsstraße um Mitarbeiter werben.<br />

Das tut auch auf seine Weise das 45 Meter<br />

messende Hochregallager mit automatischer<br />

Bedienung. Es ragt über die Baumwipfel<br />

und ist schon von Weitem von der<br />

B 290 zu sehen. Lieblich ist allerdings anders.<br />

1999 wurde auf dem Kasernengelände<br />

mit gut 70 Mitarbeitern gestartet. Heute<br />

arbeiten etwa 1250 Mitarbeiter auf dem<br />

122 Hektar großen Areal, und noch ist Platz<br />

für Wachstum.<br />

Die Region litt wie viele andere ländliche<br />

Gebiete, als die Bundeswehr zahlreiche<br />

Standorte schloss. Sichere Arbeitsplätze<br />

gingen verloren, solide, aber wenig reizvolle<br />

Bauten sind die Hinterlassenschaften,<br />

mit denen die Bürgermeister umgehen<br />

müssen. Während Bad Mergentheim mit<br />

Würth ein großes Unternehmen gewinnen<br />

konnte, werden im i_PARK in Lauda-<br />

Königshofen kleinere Brötchen gebacken.<br />

Zimmer 07.047 belegt Armin Kordmann,<br />

Geschäftsführer der Gesellschaft i_PARK<br />

Tauberfranken, die den alten Wohntrakten<br />

neues Leben eingehaucht hat: „Das ist<br />

noch die Nummerierung von der Bundeswehr,<br />

wir haben sie anfangs einfach belassen,<br />

später habe ich sie verinnerlicht.“ Die<br />

Bäume vor den Fenstern, die die Bundeswehr<br />

als Tarnung schätzte, ließ Kordmann<br />

abholzen, Baderäume wurden herausgerissen<br />

und kleine Gemeinschaftsküchen<br />

eingebaut. Keine sechs Euro kostet hier ein<br />

Quadratmeter Bürofläche. Ideal für Neugründungen.<br />

Ist ein Trakt mit Mietern belegt,<br />

wird der nächste angegangen – zu Beginn<br />

hat Kordmann noch selber den Rasen<br />

gemäht und Wände in Wischtechnik aufgehübscht;<br />

im ehemaligen Offizierskasino<br />

werden heute Hochzeiten gefeiert, der<br />

Klassenzimmer-Atmosphäre zum Trotz.<br />

Die Versuche, mit Annoncen in Branchenblättern<br />

Mieter zu gewinnen, schlugen<br />

fehl. Heute läuft alles über Mundpropaganda,<br />

und was zählt, ist der Preis: „Da kommt<br />

keiner aus Stuttgart und sagt: Herrliche Büros!“<br />

Ein Restaurant ist in eines der Gebäude<br />

eingezogen, mit guter Küche, aber schlechtem<br />

Handyempfang. „Die Bundeswehr hat<br />

immer solide gebaut“, sagt die Kellnerin.<br />

SCHNELL DA, SCHNELL WEG<br />

Freie Grundstücke hingegen verspricht der<br />

Industriepark ob der Tauber der Gemeinden<br />

Grünsfeld und Lauda-Königshofen.<br />

Der Schweizer Kaffeemaschinenhersteller<br />

Franke hat hier seinen Deutschlandsitz. Er<br />

liegt ideal, in der Mitte Europas und nahe<br />

der A 81. Man ist schnell da. Und schnell<br />

weg. Die Mitarbeiterinnen aus dem Marketing<br />

wohnen lieber in Würzburg.<br />

Grünsfelds Bürgermeister Joachim Markert<br />

erzählt, wie die hiesige, traditionelle<br />

Gastronomie langsam ausstirbt, weil zu viele<br />

Betriebe keinen Nachfolger finden und<br />

weil es hier genug Arbeit gibt, die nicht in<br />

den Abend und übers Wochenende geht.<br />

Markert schaut über einen Acker, im Hintergrund<br />

locken die grünen Hügel des Umlands.<br />

500 weitere Arbeitsplätze hätten hier<br />

entstehen sollen, doch die Zusage eines Logistikunternehmens<br />

wurde kurzfristig zurückgezogen.<br />

Welches es war, möchte Markert<br />

nicht verraten, noch ist die Hoffnung<br />

nicht verloren, dass zu den 30 bebauten<br />

Grundstücken ein großes dazukommt – für<br />

ein internationales Unternehmen mit<br />

Strahlkraft.<br />

Der Bürgermeister Markert hätte auch<br />

Platz für mehr Eigenheimbebauung, daran<br />

soll es nicht scheitern. Unternehmen und<br />

Mitarbeiter sind hier sehr willkommen. Es<br />

muss sich halt nur noch rumsprechen. n<br />

thorsten.firlus@wiwo.de<br />

FOTOS: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

92 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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