Wirtschaftswoche Ausgabe vom 28.07.2014 (Vorschau)
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FOTO: PHOTOTHEK/THOMAS TRUSCHEL; ILLUSTRATION: DMITRI BROIDO<br />
Reise ohne Kompass<br />
FRANK-WALTER STEINMEIER | Der Bundesaußenminister sucht nach<br />
seiner Rolle bei der Lösung blutiger Kriege und Konflikte.<br />
Für die bislang weiteste Reise dieser<br />
Amtszeit hat sich Frank-Walter Steinmeier<br />
frühmorgens aus dem Staub<br />
gemacht. Um kurz vor acht hebt am 17. Juli<br />
sein Regierungsflieger gen Mexiko ab, ein<br />
gutes Dutzend Wirtschaftsleute ist an Bord.<br />
Der SPD-Außenminister will zeigen, dass<br />
er die Interessen der Wirtschaft ernst<br />
nimmt. Der Tross kommt aber nur bis Kanada<br />
– da hat die Ukraine-Krise den deutschen<br />
Chefdiplomaten schon wieder eingeholt.<br />
Im Osten des Landes ist ein Passagierjet<br />
der Malaysia Airlines mit fast 300<br />
Menschen an Bord abgestürzt,<br />
womöglich abgeschossen von<br />
prorussischen Rebellen.<br />
Bohrende Fragen dazu warten<br />
schon, als Steinmeier in Mexiko-<br />
Stadt dem Airbus Theodor Heuss<br />
entsteigt. Seltsam abwesend<br />
wirkt er kurz darauf bei einer Zeremonie<br />
für die Erweiterung eines<br />
BMW-Werks. In Gedanken,<br />
Steinmeiers Blick verrät es, ist er bei dem<br />
blutigen Konflikt an Europas Grenze. Die<br />
Krise ist auch ein Test für die deutsche Diplomatie,<br />
der er anlässlich einer Grundsatzrede<br />
in München im Februar im Duett<br />
mit Bundespräsident Joachim Gauck mehr<br />
„Verantwortung für die Welt“ verordnet hat.<br />
Aufbruch ins Ungewisse Frank-Walter Steinmeier<br />
auf der Treppe zum Regierungsflieger<br />
Mehr Verantwortung – wie geht das? Für<br />
den Ernstfall hat Steinmeier keinen Kompass.<br />
Noch hat die Bundesregierung die<br />
neue Richtung gar nicht definiert, da marschiert<br />
Steinmeier schon im Eiltempo voran.<br />
Er stemmt sich gegen harte Sanktionen<br />
für Russland, wie sie die USA von Europa<br />
fordern – und hält stoisch Gesprächskanäle<br />
mit Russland offen. „Auch wenn wir<br />
den Druck auf Russland erhöhen, dürfen<br />
wir den Kontakt zur russischen<br />
Regierung nie abreißen lassen“,<br />
sagt Steinmeier zur Wirtschafts-<br />
Woche. Allerdings müsse Moskau<br />
sein Verhalten ändern und<br />
zur Deeskalation beitragen.<br />
„Mehr Diplomatie wagen“,<br />
könnte man Steinmeiers Ansatz<br />
nennen, der als Abgrenzung<br />
zur säbelrasselnden US-Politik<br />
verstanden werden kann.<br />
Was aber, wenn der schwer auszurechnende<br />
russische Präsident Wladimir Putin<br />
nur mit einem scharfen Embargo oder gar<br />
Gewalt zu stoppen ist? Steinmeiers Reputation<br />
wäre dahin, in der Kritik steht er jetzt<br />
schon. „Schafft er es dagegen, zu vermitteln,<br />
könnten sich die Deutsche mit ihrem<br />
hartnäckigen Primat der Diplomatie international<br />
Respekt verschaffen“, sagt Eberhard<br />
Sandschneider, Forschungsdirektor<br />
der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige<br />
Politik (DGAP). Und das sogar, ohne es sich<br />
mit dem eher pazifistischen Wahlvolk zu<br />
verscherzen.<br />
Davon dürfte die deutsche Wirtschaft<br />
ebenso profitieren. Außerhalb der EU haben<br />
immer mehr Unternehmen Ärger mit<br />
korrupten Bürokraten oder protektionistischen<br />
Gesetzen, hier können Diplomaten<br />
im Kleinen helfen. In der großen Politik<br />
könnten die Deutschen mit einer großen<br />
Portion Glaubwürdigkeit dem Freihandel<br />
neues Leben einhauchen – auch das ist ein<br />
Ziel „im Amt“ unter Führung des ambitionierten<br />
Frank-Walter Steinmeier. Der Trierer<br />
Politologe Hanns Maull spricht von der<br />
„ungewöhnlichen Fähigkeit“ der deutschen<br />
Außenpolitik, „Koalitionen mit anderen<br />
Akteuren zu schmieden und zu führen,<br />
ohne dominieren zu wollen“. Allerdings<br />
müsse man wissen, was man will.<br />
Das weiß niemand so recht. Der strategische<br />
Überbau von Steinmeiers neuer Außenpolitik<br />
fehlt. Bislang ist unklar, ob sich<br />
Deutschland nur als Schiedsrichter bei<br />
Konflikten versteht oder eingreifen würde –<br />
auch wenn der Einsatz zur Friedenssicherung<br />
zuletzt in Afghanistan krachend gescheitert<br />
ist. Offen ist, welche Rolle die<br />
Bundeswehr in der Außen- und Sicherheitspolitik<br />
künftig spielen soll. Wovon die<br />
Beschaffung von Drohnen abhängt, die der<br />
Wähler nicht will. Letzterer ist laut Umfragen<br />
sowieso mehrheitlich der Meinung,<br />
dass sich Deutschland bei internationalen<br />
Krisen „eher zurückhalten“ möge.<br />
AM ROCKSAUM<br />
Immerhin hat die Bundesregierung erkannt,<br />
dass die Deutschen in einer multipolaren<br />
Welt nicht am Rocksaum der Amerikaner<br />
kleben können, zumal die verstärkt<br />
nationale denn transatlantische Interessen<br />
verfolgen. Europa ist zwar wirtschaftspolitisch<br />
groß genug, um China oder den USA<br />
auf Augenhöhe zu begegnen, außen- und<br />
sicherheitspolitisch nimmt die Welt den<br />
28-Stimmen-Chor der Europäer aber nicht<br />
ernst. Was das Ausland konkret von<br />
Deutschland erwartet, will Frank-Walter<br />
Steinmeier mit einem Experiment namens<br />
Review herausfinden. Bis Ende des Jahres<br />
werden Experten aus aller Welt nach ihrer<br />
Meinung gefragt – im Frühjahr sollen die<br />
dann in eine außenpolitische Strategie einfließen.<br />
Das ist weltweit einmalig und<br />
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WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 29<br />
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