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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 28.07.2014 (Vorschau)

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Technik&Wissen<br />

Klärwerk als Biotop<br />

GRÜNER PIONIER | Gegen fast alles ist ein Kraut gewachsen. Der<br />

Franzose Thierry Jacquet reinigt Industrieabwässer mit Pflanzen.<br />

Skeptische Blicke ist Thierry Jacquet<br />

gewöhnt. „Es klingt ja auch ein<br />

bisschen seltsam, wenn einer<br />

behauptet, er würde Abwässer mithilfe<br />

von Pflanzen so sauber kriegen,<br />

dass man darin baden kann“, sagt der<br />

49-jährige Franzose und zwinkert vergnügt<br />

durch die runde Brille.<br />

Umwelt-Restaurator nennt er<br />

als Berufsbezeichnung, seit er<br />

vor zehn Jahren seine Firma<br />

Phytorestore gründete. „Phyto“<br />

wie das griechische Wort für<br />

„pflanzlich“ und „restore“ für<br />

„wieder herstellen“. „In 50 Jahren<br />

wird das völlig normal sein. Aber es<br />

braucht eben jemanden, der damit anfängt<br />

und die Überzeugungsarbeit leistet.“<br />

Jacquet, ursprünglich Städteplaner und<br />

Landschaftsarchitekt, wirbt für das Potenzial<br />

einer Technik, die bisher vor allem in Naturschwimmbädern<br />

zum Einsatz kommt,<br />

dass nämlich Pflanzen das verschmutzte<br />

Wasser reinigen. Der Ökopionier<br />

aber geht noch einen Schritt weiter.<br />

Er will beweisen, dass es<br />

Pflanzen – bis auf wenige hochgiftige<br />

Substanzen – selbst mit<br />

stark belasteten Industrieabwässern<br />

aufnehmen können; etwa<br />

von Kosmetik- und Waschmittelherstellern<br />

und sogar mit den<br />

verseuchten Böden von Tankstellen<br />

oder Reinigungsfirmen.<br />

WATEN IM FILTERGARTEN<br />

Wie das funktioniert, zeigt er eine<br />

gute Stunde Fahrt südlich von Paris:<br />

In La Brosse-Montceaux, einem<br />

Ort nahe der Grenze zur<br />

Bourgogne, wiegt sich Schilfrohr<br />

im Wind, so weit das Auge reicht.<br />

Frösche quaken, Vögel zwitschern,<br />

ein Biotop, könnte man<br />

vermuten. Doch unter dem<br />

Pflanzenteppich wabert eine<br />

dunkelgraue Brühe.<br />

Jacquet hat sich Gummistiefel<br />

über die Anzughose gezogen. Er<br />

watet durch einen Tümpel, greift<br />

sich eines der Gewächse und<br />

zieht es samt Wurzel heraus.<br />

Grüne Pioniere<br />

Alle Teile der<br />

Serie finden Sie im<br />

Internet unter<br />

wiwo.de/pioniere<br />

„Die Pflanzen sind nur Mittel zum<br />

Zweck. Die Arbeit machen Bakterien,<br />

die an den Wurzeln leben und den<br />

Schmutz fressen“, erklärt er die biologische<br />

Abwasserreinigung.<br />

Das Prinzip, Chemikalien mit Bakterien<br />

zu knacken, ist nicht neu. Heute<br />

kommt es in modernen Kläranlagen<br />

Entsorgungspark Unternehmer Jacquet in einer Pflanzen-Kläranlage<br />

zum Einsatz. Dort werden die<br />

Mikroorganismen den Abwässern<br />

beigemischt. Sie brechen<br />

unter anderem Kohlenwasserstoffketten<br />

auf.<br />

Doch wie sich das auch mit<br />

Pflanzen realisieren lässt, das<br />

hat Jacquet – bisher weltweit einzigartig –<br />

umgesetzt: Bei ihm vertilgen Farne Zyanid<br />

und Arsen, der breitblättrige Rohrkolben<br />

und Ölweiden Salze. Gewöhnlicher Gilbweiderich<br />

mag Zucker und Stärke, Miscanthus<br />

Schwermetalle. Seggen nehmen sich<br />

infektiöser Keime an, Zuckerrohre Pestiziden<br />

und Düngemitteln. Sogar gegen radioaktiv<br />

belastete Böden sei ein Kraut gewachsen:<br />

Wiesenklee.<br />

Und als reiche das nicht, will der Unternehmer<br />

mit seinen Filtergärten selbst kommunale<br />

Kläranlagen in Naherholungsparks<br />

verwandeln. „Die Technik ist absolut<br />

vielversprechend“, urteilt Jean-Louis Ducreux,<br />

Direktor der Beratungsfirma Atelier<br />

d’Ecologie Urbaine (AEU) in Paris.<br />

Auf seiner Biofarm in La Brosse-Montceaux<br />

hat Jacquet 24 Bassins ausgehoben.<br />

Er hat sie mit einer Geomembrane ausgelegt,<br />

um zu verhindern, dass Abwässer ins<br />

Grundwasser versickern. Dann folgen je eine<br />

Schicht Schlacke, Kalksteine und Kompost,<br />

in die er die Pflanzen setzt. Anschließend<br />

leitet er die Abwässer in die Bassins.<br />

ZU 99 PROZENT ENTGIFTET<br />

Zwei bis drei Jahre dauert es, bis aus Abwässern<br />

und belasteten Böden Kompost<br />

wird, aus dem die Pflanzen 99 Prozent der<br />

Schadstoffe abgebaut haben. „Labortests<br />

der Unternehmen SGS, Wessling, Eurofins<br />

und SAS Laboratoire haben das bewiesen“,<br />

versichert der Franzose. Aus den Pflanzen<br />

wird am Ende Dämmmaterial oder Substrat<br />

für Biogasanlagen. Er wolle nicht behaupten,<br />

dass er „für alles eine Zauberformel“<br />

habe. „Es gibt Stoffe, die Pflanzen<br />

nicht verarbeiten können.“ Daher lande,<br />

was die Bakterien an Gift übrig<br />

lassen – etwa die Schwermetalle<br />

Quecksilber oder Cadmium –, in<br />

einem separaten Becken. Dort<br />

sei die Konzentration der Stoffe<br />

so hoch, dass Spezialfirmen sie<br />

als Ressource herausfiltern und<br />

weiter verwenden könnten, erklärt<br />

AEU-Berater Ducreux.<br />

„Gute ökologische Lösungen<br />

müssen auch finanziell interessant<br />

sein“, sagt Jacquet. Bereits<br />

als selbstständiger Umweltberater<br />

hatte er für Kommunen Konzepte<br />

entwickelt, die günstiger<br />

waren als das übliche Verbrennen<br />

oder Vergraben von Industrieschlämmen.<br />

„Was aber fehlte,<br />

waren Unternehmen, die solche<br />

Lösungen hätten umsetzen<br />

können.“ Also gründete Jacquet<br />

diese Firma schließlich selbst.<br />

Trotzdem tat sich der Umwelt-Unternehmer<br />

mit der Verbreitung<br />

seiner Filtergärten lange<br />

schwer. Zum einen, weil die<br />

Reinigung so zeitaufwendig ist:<br />

„Bauträger etwa, die belastete<br />

Böden entgiften müssen, ha-<br />

»<br />

FOTO: LAIF/REA/HAMILTON<br />

62 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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