Wirtschaftswoche Ausgabe vom 28.07.2014 (Vorschau)
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FOTO: DOMINIK PIETSCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Problem ist: Die Überwacher sind auf Aufträge<br />
aus der Industrie angewiesen. Es ist<br />
nicht auszuschließen, dass in Einzelfällen<br />
weniger kritisch geprüft wird, um mehr<br />
Aufträge zu erhalten.<br />
Was muss sich ändern?<br />
Wirksamere Kontrollen können nur <strong>vom</strong><br />
europäischen Gesetzgeber beschlossen<br />
werden. Es ist aber sehr schwierig, dafür<br />
Mehrheiten zu finden, weil die Mitgliedsländer<br />
das Thema als unterschiedlich brisant<br />
einschätzen. Das BfArM bewertet sicherheitsbezogene<br />
Meldungen und<br />
schlägt gegebenenfalls Maßnahmen zur<br />
Abhilfe vor. Durchsetzen können solche<br />
Maßnahmen aber nur die Behörden der<br />
Länder. Deren Betrachtungsweisen sind<br />
nicht überall dieselben. Es scheint mir<br />
nicht der Intention des Grundgesetzes zu<br />
entsprechen, wenn auf diese Weise innerhalb<br />
von Deutschland ein unterschiedliches<br />
Schutzniveau entsteht.<br />
Arzneien werden strenger kontrolliert.<br />
Dennoch treten immer wieder unerwartete<br />
Nebenwirkungen auf. Warum?<br />
Das System der Arzneimittelkontrolle<br />
funktioniert im Prinzip sehr gut. Aber Sie<br />
können nicht jede Nebenwirkung über<br />
große klinische Studien erkennen – auch<br />
nicht, wenn mehrere Tausend Patienten<br />
einbezogen sind. Auch lassen sich nicht alle<br />
Wechselwirkungen mit anderen Präparaten<br />
ausschließen, bevor ein Medikament<br />
auf dem Markt ist. Natürlich haben Unternehmen<br />
und Patienten ein berechtigtes Interesse<br />
daran, dass neue Mittel schnell auf<br />
den Markt kommen. Aber die weisen eben<br />
noch wenig Praxiserfahrung auf. Ich selbst<br />
würde mich – wenn ich die Wahl zwischen<br />
einem älteren und einem neuen Medikament<br />
hätte – immer für das ältere entscheiden.<br />
Das kann in Wirkungen und Nebenwirkungen<br />
besser eingeschätzt werden.<br />
Boehringer Ingelheim hat mit Pradaxa ein<br />
Mittel auf den Markt gebracht, das<br />
Tausende Schlaganfälle verhindert, aber<br />
vereinzelt teils tödliche Blutungen auslösen<br />
soll, für die es kein Gegenmittel gibt.<br />
Darf so ein Mittel auf den Markt kommen?<br />
Ja, wenn die Zulassungsbehörden eine positive<br />
Nutzen-Risiko-Bewertung vorgenommen<br />
haben. Der Einsatz neuartiger<br />
Arzneimittel muss von den anwendenden<br />
Ärzten intensiv beobachtet werden.<br />
Über europaweite Zulassungen wie bei<br />
Pradaxa entscheidet die europäische Arzneimittelagentur<br />
EMA in London. Wie viel<br />
Einfluss hat Ihre nationale Behörde noch?<br />
Deutschland ist das größte EU-Land, wir<br />
sind die größte Arzneimittelbehörde in Europa<br />
und haben einigen Einfluss. Unsere<br />
Experten sind in wissenschaftlichen Ausschüssen<br />
und Gremien vertreten.<br />
Anfang dieses Jahres hat die EMA das<br />
neue Hepatitis-C-Mittel Sovaldi des US-<br />
Konzerns Gilead zugelassen. Eine dreimonatige<br />
Behandlung kostet um die 100 000<br />
Euro. Das ist doch nur noch dreist, oder?<br />
Für die Preisfestsetzung sind nicht die Zulassungsbehörden<br />
zuständig. Meine persönliche<br />
Meinung ist, dass der Preis für ein<br />
Arzneimittel wie zum Beispiel Sovaldi völlig<br />
überzogen ist, selbst wenn dieses neue<br />
Arzneimittel einen großen medizinischen<br />
Fortschritt mit sich bringen würde.<br />
Die EMA will für mehr Transparenz sorgen,<br />
da die Pharmakonzerne negative<br />
Aspekte klinischer Studien gegenüber der<br />
Öffentlichkeit gern unter Verschluss<br />
halten. Eine entsprechende Transparenz-<br />
Regelung ist gerade verschoben worden.<br />
Setzt sich da die Pharma-Lobby durch?<br />
Hier steht das berechtigte Informationsinteresse<br />
von Wissenschaftlern und Patienten<br />
im Widerstreit mit dem ebenso berechner<br />
Frau durch ein Pfizer-Mittel ausgelöst<br />
worden sein könnte. Warum öffnet das<br />
BfArM nicht häufiger seine Türen?<br />
Auch Behörden haben Beharrungsvermögen.<br />
Es ist gut, dass er den Hinweis zutage<br />
gefördert hat. Aber es gibt auf einen gerechtfertigten<br />
Verdacht Hunderte, an denen<br />
nichts dran ist. Wenn jeder unsere Bibliothek<br />
und Datenspeicher nutzen könnte,<br />
würde das unsere Arbeit lahmlegen. Die<br />
finanzielle Ausstattung ist jetzt schon<br />
knapp. Wir bekommen etwa neue Stellen<br />
grundsätzlich nur, wenn sie sich durch Gebühreneinnahmen<br />
refinanzieren. Es gibt<br />
Anfragen von Journalisten, Forschern und<br />
Unternehmen. Neulich hat eine Kollegin<br />
für eine Anfrage drei Tage lang kopiert. Dafür<br />
dürfen wir maximal 500 Euro nehmen.<br />
Können Sie garantieren, dass in den<br />
Arzneien für deutsche Apotheken und<br />
Kliniken immer genau das drin ist, was<br />
draufsteht?<br />
Es gibt ein gewisses Risiko, dass Arzneimittel<br />
gefälscht sind, also keinen oder einen<br />
falschen, womöglich schädlichen Wirkstoff<br />
»Ich selbst würde mich immer für ein<br />
älteres Medikament entscheiden«<br />
tigten Interesse der Unternehmen, ihre Betriebs-<br />
und Geschäftsgeheimnisse zu bewahren.<br />
Ich finde: Informationen über den<br />
Ablauf von klinischen Studien müssen offengelegt<br />
werden, aber nicht alle Details.<br />
Der Schweizer Konzern Roche hat gegenüber<br />
dem Forschernetzwerk Cochrane<br />
jahrelang Studien zu seinem umstrittenen<br />
Grippemittel Tamiflu zurückgehalten.<br />
Das habe ich auch nicht verstanden. Die<br />
Konzerne legen den Begriff Geschäftsgeheimnis<br />
weit aus und geben nichts heraus,<br />
was nicht zwingend vorgeschrieben ist.<br />
Also brauchen wir striktere Vorschriften?<br />
Daran arbeitet die EMA ja gerade.<br />
Ist es nachvollziehbar, dass Bayer die<br />
Akten zu einem Hormonpräparat aus den<br />
Siebzigerjahren nicht herausrückt, das<br />
etliche Patienten geschädigt haben soll?<br />
Es dürfte für Bayer schwer werden, die Akten<br />
dauerhaft zurückzuhalten. Grundsätzlich<br />
müssen die Unternehmen anerkennen,<br />
dass die Öffentlichkeit einen Anspruch<br />
auf solche Daten hat.<br />
Vor Jahren klagte sich der Witwer Lothar<br />
Schröder ins BfArM-Archiv. Dort fand er<br />
einen Hinweis, dass der Selbstmord seienthalten.<br />
Der Anteil liegt aber meines Erachtens<br />
immer noch unter einem Prozent.<br />
Das ist noch zu viel. Wer kontrolliert das?<br />
Die Zoll- und Polizeibehörden und die<br />
Überwachungsbehörden der Länder, mit<br />
denen wir eng zusammenarbeiten.<br />
Für Kriminelle ist das ein lukratives Feld.<br />
Kürzlich sind in Italien Krebsmittel<br />
gestohlen worden. Wie groß ist die Gefahr?<br />
Die italienischen Behörden haben uns gesagt,<br />
dass sie für die Sicherheit von Medikamenten<br />
aus ihrem Land nicht garantieren<br />
können. Derzeit wird etwa anhand der<br />
Lieferscheine der Importeure die Legalität<br />
der Lieferwege überprüft. Wir wissen aber<br />
nicht, wie lange der Betrug schon lief, bevor<br />
er aufflog. Wir müssen davon ausgehen,<br />
dass ein gewisser Anteil Patienten und<br />
Krankenhäuser erreicht hat.<br />
Wie können Patienten sich schützen?<br />
Fälschungen fallen oft nicht auf, zumal sie<br />
mit deutschen Beipackzetteln ausgestattet<br />
werden. Es gibt Forderungen, bestimmte<br />
Importwege von Arzneimitteln generell<br />
abzuschaffen. Aber das hilft nicht wirklich.<br />
Kriminelle Energie findet immer Wege. n<br />
juergen.salz@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 51<br />
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