Wirtschaftswoche Ausgabe vom 28.07.2014 (Vorschau)
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Unternehmen&Märkte<br />
»Thinkbig100«<br />
SERIE GRÜNDER (III) | USA Deutsche Start-ups erobern das Internet-Mekka Silicon Valley. Ihr Erfolgsrezept:<br />
Sie entwickeln nicht wie viele andere Apps oder Online-Shops für die Masse, sondern bieten<br />
Unternehmenskunden hoch spezialisierte Dienste und Software an. Wer sind diese Hidden Champions?<br />
Zwischen all den coolen Gründertypen,<br />
die neue Messenger-Dienste<br />
wie WhatsApp oder andere verrückte<br />
Apps entwickeln, wirkt Tobias Bauckhage<br />
wie der Chef eines Versicherungskonzerns.<br />
Grundsolide ist das Geschäftsmodell seines<br />
Start-ups Moviepilot und auch ein wenig<br />
altmodisch. Die werbefinanzierte Filmempfehlungsseite<br />
ist auch schon seit sieben<br />
Jahren im Netz, Bauckhages Unternehmen<br />
mit Sitz am Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg<br />
nimmt damit Jahr für Jahr<br />
hohe einstellige Millionensummen ein.<br />
Auf den zweiten Blick ist das Geschäft<br />
des 38-Jährigen aber so aufregend, wie es<br />
eines seiner Profilbilder im Internet verspricht:<br />
Auf dem Foto sieht Bauckhage aus<br />
wie Johnny Depp im Drogentrip-Film<br />
„Fear and Loathing in Las Vegas“ – mit getönter<br />
Skibrille posiert er in der Wüste, die<br />
lange Zigarette lässig im Mundwinkel.<br />
Die coole Pose passt, denn in Hollywood<br />
ist der deutsche Unternehmer inzwischen<br />
ein heimlicher Star. 2012 ging er nach Los<br />
Angeles. Am „Silicon Beach“, wo der angesagte<br />
Bilderdienst Snapchat oder das Filmportal<br />
Hulu sitzen, eröffnete Bauckhage eine<br />
Niederlassung und startete eine englische<br />
Version von Moviepilot. Inzwischen<br />
hat er monatlich bis zu 20 Millionen Besucher,<br />
bei Smartphone-Nutzern gehört Moviepilot<br />
zu den 50 beliebtesten Seiten der<br />
USA. Bei Facebook zählt Bauckhages Unternehmen<br />
27 Millionen Anhänger, verteilt<br />
auf Unterseiten für Fans etwa von Vampirfilmen<br />
oder von romantischen Komödien.<br />
Vor allem mit dem Wissen über die Vorlieben<br />
seiner Nutzer macht der gebürtige<br />
Bad Harzburger inzwischen sein Geschäft.<br />
„Wir haben mehr Daten über Filmfans als<br />
manche Studios“, sagt Bauckhage. Dieses<br />
Wissen stellt er den Marketingmanagern in<br />
Hollywood zur Verfügung: Wenn Sony<br />
oder 20th Century Fox Werbefeldzüge für<br />
neue Filme entwickeln, hilft Bauckhage mit<br />
seiner mächtigen Datenbank bei der Planung<br />
der Kampagnen auf Facebook. Dafür<br />
investieren die Filmproduktionsfirmen inzwischen<br />
sechsstellige Summen. „Wir<br />
konnten unser Geld viel effizienter ausgeben“,<br />
sagt Lutz Rippe, Marketingchef bei<br />
Andere Dimension<br />
Wagniskapital-Investitionen (in Mio. Euro)<br />
17 375<br />
2010<br />
723<br />
Quelle: NVCA, BVK<br />
USA<br />
22 127<br />
Deutschland<br />
20 344<br />
22 052<br />
717 567 674<br />
2011 2012 2013<br />
Studiocanal. Er hat mit Bauckhages Hilfe<br />
zuletzt den zweiten Teil der „Tribute von<br />
Panem“ in Deutschland beworben: Statt<br />
wie sonst 50 musste er nur 30 Cent pro<br />
Facebook-Fan ausgeben.<br />
Neben Moviepilot gibt es eine ganze Reihe<br />
deutscher Start-ups, die Büros in den<br />
USA eröffnet haben, um im Stammland der<br />
digitalen Avantgarde mit den US-Newcomern<br />
zu konkurrieren. Ihre Geschäfte<br />
machen sie ohne großes Tamtam und weitgehend<br />
unbemerkt von der breiteren<br />
Öffentlichkeit. Weder programmieren sie<br />
bekannte Apps, noch gehören sie zu den<br />
Online-Händlern, die auf Apple-Normalverbraucher<br />
zielen. Ihre Strategie ist unauffällig,<br />
aber erfolgreich: Sie bieten hoch spezialisierte<br />
Dienste und Software an, etwa<br />
für Datenanalyse oder Smartphone-Werbung.<br />
Ihre Kunden sind nicht die breite<br />
Masse, sondern zahlungskräftige Unternehmen<br />
wie Siemens, SAP oder Zalando.<br />
Auch in den USA sind die deutschen<br />
Spezialisten zunehmend gefragt. Bei Per<br />
Fragemann stammen sogar drei Viertel der<br />
350 Kunden aus den Vereinigten Staaten.<br />
Der Chef und Gründer des Berliner Unternehmens<br />
Small Improvements bietet Personalchefs<br />
eine Software, um Mitarbeiter-<br />
Feedback einzuholen. Das populäre Netzwerk<br />
Pinterest, Browser-Urgestein Opera<br />
oder die aus Australien stammenden Spezialisten<br />
für Surferkleidung von Quicksilver<br />
nutzen Small Improvements. In Deutschland<br />
hat Fragemann dagegen nicht einmal<br />
ein Dutzend Kunden. Die meisten Rechnungen<br />
seiner deutschen GmbH werden<br />
in Dollar fakturiert, darum zählt er auch<br />
den Umsatz in der US-Währung: „In den<br />
vergangenen 52 Wochen hatten wir 1,3<br />
Millionen“, sagt Fragemann. Die Euro-Million<br />
müsste also bald geknackt sein.<br />
HEIMLICHER MILLIARDENDEAL<br />
In der deutschen Gründerszene werden<br />
diese Hidden Champions im Gegensatz zu<br />
manchem gehypten Berliner Start-up<br />
kaum wahrgenommen. Dabei hat es sogar<br />
schon den Milliardenexit gegeben, auf den<br />
Investoren und Gründer hierzulande so<br />
sehnsüchtig warten: Im Mai wurde Team-<br />
Viewer aus dem schwäbischen Göppingen<br />
übernommen, ohne das jemand groß Notiz<br />
davon nahm. Der britische Finanzinvestor<br />
Permira zahlte schätzungsweise zwischen<br />
800 Millionen und 1,1 Milliarden<br />
Dollar für das Unternehmen.<br />
TeamViewer stellt eine Software her, mit<br />
der Computer aus der Ferne gesteuert<br />
werden. So können etwa die Kinder damit<br />
auf den Rechner der Eltern zugreifen und<br />
ein Software-Update installieren, wenn<br />
nichts mehr geht. 200 Millionen Anwender<br />
weltweit nutzen das Programm, auch in<br />
den USA wird TeamViewer immer populärer<br />
– vor allem, seit Ende 2013 ein US-<br />
Konkurrent mit einer ähnlichen Software<br />
seine kostenlose Einstiegsversion abgeschafft<br />
hat.<br />
„Jetzt entsteht die nächste große Generation<br />
an Start-ups“, sagt Dirk Kanngiesser,<br />
Geschäftsführer des German Accelerators,<br />
einem Programm, das deutschen Gründern<br />
bei der Eroberung des US-Marktes<br />
hilft. Der 58-jährige Investor war während<br />
des ersten Internet-Booms zur Jahrtausendwende<br />
Mitglied einer Taskforce der<br />
Deutschen Börse, die den Neuen Markt<br />
aufbaute. Nun will Kanngiesser der neuen<br />
Gründergeneration zur Börsenreife verhelfen.<br />
Vor zwei Jahren startete das <strong>vom</strong> Bundeswirtschaftsministerium<br />
mit jährlich<br />
rund einer Million Euro finanzierte Beschleunigungsprogramm<br />
im Silicon Valley,<br />
in diesem Monat hat ein Ableger in New<br />
FOTOS: GABOR EKECS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
54 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />
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